Kreativfabrik, Wiesbaden, 1.11.2024
Ich will nicht behaupten, dass der 10. November 1993 mein Leben verändert hat. Aber er hat es um eine bedeutende Facette reicher gemacht. An jenem Tag besuchte ich in der Frankfurter Batschkapp ein Konzert des damals bekannten britischen Acts CARTER THE UNSTOPPABLE SEX MACHINE. Das Vorprogramm bestritt eine gewisse Gruppe namens SPERMBIRDS, von der ich bis dato noch nie gehört hatte. Und nachdem die ihren Gig beendet hatte, war der Abend für mich eigentlich schon gelaufen: Ich hatte „meinen“ Sound gefunden (CARTER USM lieferten übrigens später auch eine Spitzen-Show ab). Kurz darauf begann ich, mir in Plattenläden, auf Flohmärkten oder über Ebay den gesamten Backkatalog der Truppe aus Kaiserslautern zusammenzukaufen. Von da war es dann nur noch ein kleiner Schritt zu der ähnlich aufspielenden Saarbrücker Formation STEAKKNIFE, die 1995 ihr erstes Album herausbrachte und in deren Line-up der langjährige SPERMBIRDS-Sänger Lee Hollis ebenfalls steht.
Nun, die SPERMBIRDS sind inzwischen leider endgültig Geschichte: Nach einigen Splits und Reunions verkündete die Band fast auf den Tag genau vor einem Jahr ihre – finale – Auflösung, weil Frontmann Hollis die Gruppe verlassen habe. Die genauen Gründe für die Demission wurden nicht mitgeteilt. Aber die Fangemeinde musste befürchten, dass Hollis auch bei STEAKKNIFE in den Sack hauen würde, hätte ja auch etwas mit der Gesundheit zu tun haben können. Doch dafür gab es zum Glück weder in den folgenden Monaten noch beim gestrigen Konzertabend in der Wiesbadener Kreativfabrik irgendwelche Anzeichen.
Bevor ich aber zum Auftritt der Steakmesser komme, noch ein paar Worte zum Vorprogramm, das von der ebenfalls aus Saarbrücken stammenden Combo THE WRONG MEDS bestritten wurde: Das war nämlich richtig gut. Verwunderlich war das indes nicht, denn wer mit WIPERS- und PROPAGANDHI-Shirts auf die Bretter geht, dem darf man durchaus guten Musikgeschmack attestieren. Und dieser zeigte sich auch im eigenen Schaffen: Stücke wie „Superstar“, „Broken Glass“, „Gasoline“ und besonders der „Bullshit Detector“ sind ordentliche Punkrock-Brecher, die – wären die Band und ihre Songs in unserer Region ein wenig bekannter – das Publikum im gut besuchten Club bestimmt zum Moshen animiert hätten. So blieb es beim gemeinschaftlichen Auf-der-Stelle-Tanzen ohne heftigere Körperkontakte.
Beim Stück „Parallel“ wurde mal auf Deutsch gesungen und Tracks wie „Wrong Way“ und „Nothing New“ offenbarten eine schöne Indie Rock-Kante. Das Set war abwechslungsreich und, wie ich fand, zu jeder Zeit kurzweilig. Und das war gut so, denn die Jungs hauten – als Support – satte 18 Songs in mehr als einer Stunde Spielzeit raus, was einige neben mir stehende Zuhörer zu der Äußerung veranlasste, das sei zu lang gewesen. Ich sage: What? Solange das fetzt, immer her damit.
Viele Infos hält das Netz über das Quintett nicht bereit. Seine Musik kann bei Spotify angehört werden und ist, wenn ich das richtig gesehen habe, bisher nur als Download via Bandcamp erhältlich. Auf der Streaming-Plattform stehen unter dem Arbeitstitel „Work in Progress“ 17 Tracks zum Abruf bereit, was im Grunde locker für zwei Alben reichen würde. Vielleicht wird ja eines Tages eine CD oder LP produziert. Auf dem YouTube-Kanal der Band, auf dem zurzeit vier Videoclips angeschaut werden können, ist zwar die Rede davon, dass genau dies momentan passiert; wie aktuell diese Info ist, ist allerdings nicht ersichtlich. Wie auch immer, hätte ein Tonträger schon gestern neben den – fair gefertigten – Shirts auf dem Merchtisch gelegen, ich hätte ihn gekauft.
Nach längerer Umbaupause betrat schließlich der Headliner in persona von Hollis, L. Demon (Gitarre), Mr. Mieps (Gitarre), Hell-G (Bass) und Lorenzo Stiletti (Schlagzeug) das Podest. Vier der Herren erschienen in schwarzen Oberhemden und dunklen Hosen, lediglich Stiletti fiel mit seinem weißen Bandshirt von JESUS LIZARD ein wenig aus dem Rahmen. Das mag Zufall gewesen sein, vielleicht aber auch ein gewollter visueller Kontrapunkt im STEAKKNIFE-schen Bühnen-Mikrokosmos. Denn wer sich mal mit dem Auftreten der Truppe und mit dem Artwork der Veröffentlichungen beschäftigt, dem wird auffallen, dass da wenig bis nichts dem Zufall überlassen wird und erheblich mehr dahintersteckt als nur gut tanzbare Punkrock-Melodien mit Aggro-Faktor.
Betrachtet man die Bilder vergangener Jahre und Jahrzehnte (wie zum Beispiel die zu unserem Bericht vom AU-Sommerfest 2014 hier), so zeigt sich, dass das schwarze Outfit seit jeher als Arbeits- und Auftrittskleidung dient, es ist sozusagen die Banduniform. Was durchaus etwas mit Stil zu tun hat. Denn wer Punk spielt, muss heutzutage längst nicht mehr dem Klischee entsprechen und knallbunte, verschlissene Klamotten tragen. Punk ist auch, sich so zu zeigen, wie man sich (wohl)fühlt. Sind STEAKKNIFE die adretten Gentlemen des Punkrock? Auch sucht man auffällige Tattoos und Piercings bei STEAKKNIFE vergeblich, während viele andere, handelsübliche Genrebands meist schwerst tätowiert und durchlöchert wie ein Schweizer Käse daherkommen. Sind STEAKKNIFE gar die Biedermänner des Punkrock? Mitnichten. Punk hat ausschließlich mit dem Mindset zu tun, und das manifestiert sich im Fall der Saarländer eben in Smartness, Coolness und Charisma.
Beleuchten wir in diesem Zusammenhang noch kurz das Artwork von einigen Alben der Band: Das Cover zur Debüt-Platte „Godpill“ (1995) ist in seiner minimalistischen Ästhetik ein Fall für das Designmuseum, das zum Nachfolger „Songs Men Have Died For“ ließ man von dem bekannten US-amerikanischen Künstler Frank Kozik gestalten. Die Hülle der aktuellsten Scheibe „One Eyed Bomb“ (die inzwischen auch schon wieder neun Jahre alt ist) stammt von dem Grafiker Marc André Misman, der auf dem Werk auch als Gitarrist zu hören ist. Ist STEAKKNIFE in puncto Attitude, Art und Style also ein Gesamtkunstwerk? So weit muss man vielleicht nicht gehen, aber fest steht für mich schon, dass die bereits genannten Faktoren im Zusammenspiel mit der Musik dazu beitragen, dass sich die Band innerhalb der Punk/HC-Szene ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen und darüber hinaus einen verdienten Legendenstatus erarbeitet hat. Die Kreativfabrik bemerkte in ihrem Ankündigungstext für den Abend, das sei „Punkrock für Erwachsene und für Kids“. Zumindest was die Älteren betrifft, würde ich das sofort unterschreiben.
Die eigentliche Geschichte des Konzerts ist schnell erzählt: 24 krachende Lieder inklusive der Zugaben kredenzte die Band dem – zumindest im vorderen und mittleren Bereich – zum Tanzen aufgelegten Publikum, wobei die Stücke einen schönen Querschnitt des bisherigen Schaffens bildeten. Als Einstieg wählte das Quintett „The Bad Man“ von der LP „Songs Men Have Died For“, von der später unter anderem noch die Klassiker „Power Killer“, „Driving in a Dead Mans Car“ und „Who Killed Kennedy?“ gegeben wurden. Von der „Godpill“ gab‘s „2 Dollar Haircut“ und von der „Plugged Into The Amp Of God“-Scheibe „My Dad’s A Cop“ und „Source Code“. Auch die Titelsongs der beiden Alben „Parallel Universe of the Dead“ und „One Eyed Bomb“ schafften es ins Set. Die besagte Bekleidung änderte ihre Farbe schnell vom trockenen, hellen Schwarz zum tiefdunklen, schweissnassen Schwarz. Hollis‘ Brille bestand einmal mehr den Härtetest, blieb trotz der schnellen Bewegungen immer an ihrem Platz. Auch wenn die Gläser aufgrund der Hitze und immer höher werdender Luftfeuchtigkeit von innen beschlugen, behielt der routinierte Sänger stets den Überblick.
Höhepunkte des Gigs waren für mich – und der Lautstärke der mitgebrüllten Refrains im Publikum nach zu urteilen auch für viele andere – die beiden Ausnahmestücke „It‘s My Life“ und „Hell Yeah“ von der „Songs Men…“-LP sowie „Harpoon“, ein unglaublich treibendes Stück von der „Bomb“-Scheibe in bester DEAD KENNEDYS-Tradition. Das ist Punkrock der Extraklasse – höre ich diese Tracks mit Hollis‘ charakteristischer Stimme auf dem Studioalbum, stellt sich schon ganz von allein Gänsehaut ein. Dazu im Rahmen einer Liveshow alle fünf Musiker auch mehr als drei Jahrzehnte nach der Bandgründung fit und überaus agil über die Bühne rotieren zu sehen, gab allen Fans der Formation einen Extrakick. Okay, bis unter die Clubdecke gesprungen wird inzwischen nicht mehr, aber das haben die meisten im Publikum auch nicht mehr drauf. Die Zeit bleibt eben nicht stehen. Auch wenn es bei seltenen Gelegenheiten wie einem guten STEAKKNIFE-Konzert zuweilen den Anschein hat. Allein dafür kann man der Band nicht genug danken.
Links: https://www.facebook.com/thewrongmeds/, https://www.instagram.com/thewrongmeds/, https://thewrongmeds.bandcamp.com/work-in-progress, http://www.steakknife.org/, https://www.facebook.com/steakknifemusic, https://www.instagram.com/steakknifemusic/, https://steakknifemusic.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Steakknife
Text: Stefan
Fotos: Nils (@nils.abd.photo), https://www.flickr.com/photos/194860737@N02/
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