Nachtleben, Frankfurt, 18.11.2024
Schon merkwürdig. Da veröffentlicht jemand 2023 ein genre-fluides wie eigenständiges Album voller zukünftiger Klassiker – und wird auf der ersten Headline-Clubtour hauptsächlich von Leuten gefeiert, die eigentlich zum Publikum des berühmtes Vaters sowie dessen Band gehören. Und die man bei vergleichbaren Acts junger Menschen nicht im Publikum sieht. Kein Wunder: Im deutschsprachigen Raum wies vor allem die Fanseite depechemode.de auf die kleine Clubtour von Stella Rose Gahan hin, die um den berühmten Nachnamen kaum herum kommt um Verwechslungen mit weiteren Stella Roses zu entgehen. Und doch probiert sie es: Ihre Tonträger (bisher ein Album sowie eine brandneue EP) führen den Nachnamen des durch DEPECHE MODE bekannten Sängers eben nicht auf dem Cover.
Allerdings sind sie abseits der Streaming Dienste auch kaum zu finden – ein Fan fragte bei Discogs jüngst an, ob Gahans Label KRO Records ihr Debüt „Eyes Of Glass“ nicht endlich in irgendeiner physischen Form veröffentlichen möchte. Doch das Label von Justin Raisen (Produzent & Songwriter), Ives Rothman (Produzent) sowie Lawrence Rothman (Singer/Songwriter) ist, trotz diverser Zusammenarbeiten mit namhaften Künstler*innen wie WARPAINT, girl in red oder Kim Gordon, in seiner Gänze schwer zu finden: Die Sichtbarkeit bei Soundcloud und Bandcamp ist gelinde gesagt lächerlich; vor dem Anklicken der Homepage wird (zumindest an meinem Rechner) sogar eindringlich gewarnt. Am meisten Content findet man noch bei YouTube (siehe hier) – der Gedanke drängt sich auf, dass bei der Berufswahl das Geldverdienen weniger im Vordergrund stand.
Doch zurück zu der 25-Jährigen, die auf ihrer ersten Headline-Tour durch Europa gerade vier Mal in Deutschland gastierte und den Kellerklub an der Frankfurter Konstablerwache zum größten Teil mit Menschen füllte, die ohne die DEPECHE MODE-Connection wohl woanders ihre Freizeit verbracht hätten. Es mutet wahrscheinlich seltsam an, wenn ein betagter Schreiber mit Kamera wie ich die Überzahl der ebenso betagten wie filmenden Konzertgäste problematisiert – aber der Kontrast zwischen der Performerin, die exzessiv ihr Ding durchzog um ihre Songs zu präsentieren (die sie ausschließlich mit Hilfe der Rothmans – Lawrence mixte, Ives fungierte als Co-Produzent und Co-Autor – auf die Welt gebracht hatte) und den fast bewegungslosen Boomern, die dicht gedrängt an die Bühne jede Sekunde des knapp 45-minütigen Auftritts aufzeichneten, war merkwürdig bis leicht verstörend.
Einmal nur gelang es einer jungen Person mitten im Set, sich nach vorn zu buddeln um Stella Rose eine ebensolche Blume zu überreichen und sorgte damit für ein berührtes Innehalten der Künstlerin, die sich bedankte und das Gewächs zu einem ihrer kleinen Mischpulte legte, mit denen sie fast ihre komplette musikalische Unterstützung abrief. Das war’s schon mit der Sichtbarkeit der Generation Z bei dieser Veranstaltung. Erst als sich nach dem Ende der Show der Platz vor dem Podest etwas lichtete, traten vereinzelte Altersgenoss*innen der Musikerin an die Bühne, um noch ein wenig Restflair aufzusaugen.
Style sowie Optik sind Stella Rose wichtig – ihre Zusammenarbeit mit dem Vater zeigte sich bisher nicht musikalisch, sondern in der fotografischen Gestaltung der Cover der Platten „Imposter“ und „Angels & Ghosts“, die er mit den SOULSAVERS aufnahm. Als sie um 20.20 Uhr in einem weißen Anzug die Bühne betrat, der Ähnlichkeiten mit dem „Aloha Suit“ von Elvis Presley bei dessen fast weltweit übertragenen TV-Konzert aus Hawaii aufwies, stellte sie sich in einen Rahmen aus portablen und mit vielen Scheinwerfern bestückten Säulen. An einer der Säulen war einer der Kästen befestigt, die für die Sounds außer Stimme und Gitarre zuständig waren; am Boden ein weiterer. Und, versteckt am Tor zur Garderobe an der Seite bediente ein Helfer einen ähnlichen.
Viel Spontanität ließ das nicht zu, von Änderungen der Setlist während der Tour ist ebenso nicht auszugehen. Diese ruhte sich jedoch keineswegs aus auf der Veröffentlichung, die durch Spotify und Co. inzwischen bekannt ist, sondern kredenzte hintereinander erstmal drei von vier der neuen Stücke, die an diesem Abend tatsächlich (neben den obligatorischen Textilien mit den Tourdaten hintendrauf) in physischer Form zu erwerben waren. Ausschließlich als Tape, aber immerhin.
„Eyes Of Glass“ wurde im Lauf des Sets nicht nur unvollständig gegeben (drei von neun Stücken passten wohl nicht ins Konzept), sondern in veränderter Reihenfolge dargebracht. Zum Teil auch komplett umarrangiert, so dass man nur mit Textkenntnis erkannte, was gerade lief („Maid“). Stimmlich verzichtete Stella zumeist auf zarte Töne, die sie ebenso gut anschlagen kann wie epische, wuchtige oder gar sakrale Momente („Pray“), in denen sie ihren Idolen PJ Harvey oder Nick Cave bisweilen sehr nahe kommt. Beim fusion-jazzigen Titel „Clean“ mit rhythmischem R&B-Fundament erschallte eine halbe Bigband aus den kleinen Kästchen, während Stella Rose dabei Assoziationen an Nina Simone wachrief. Die Hass-Hymne „Faithful“ bot Semi-Metal und eine von mehreren Situationen, bei denen zur Gitarre gegriffen wurde. 45 Minuten sind jedoch schnell vorbei – vor allem, wenn man so formvollendet unterhalten wird.
Am Ende blieb nur noch Platz für die Singles des ersten Albums, wobei die eine – „Angel“ – auch durch die Mangel gedreht wurde indem Stella Rose mit sich selber um die Wette sang und den Song zu einem Höchstmaß an Lautheit führte, die sich von der Studioversion um etliches an Volumen abhob. „Muddled Man“ beschloss den Abend – wie ein versöhnliches Ende wirkte das nicht unbedingt. Dass es keine Zugabe gab ist nicht persönlich zu nehmen, in den Staaten ist das ja Usus. Der Einstand von Stella Rose als Headliner – er lief sehr speziell und eigen ab, keine Frage. Doch so ist das nun mal mit großen Künstler*innen. Man darf gespannt sein, wie es mit ihr weitergeht.
Links: https://www.srtdl.net/, https://www.instagram.com/stellarose_gahan/, https://www.last.fm/de/music/Stella+Rose
Text & Fotos: Micha
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