Mousonturm, Frankfurt, 27.05.2013
Schwäne sind ja bekanntlich sehr ambivalente Kreaturen, auf der einen Seite anmutig, majestätisch und elegant, auf der anderen Seite gelten sie als bösartig und angriffslustig. SWANS-Mastermind Michael Gira (Foto rechts) hat den Bandnamen nicht ohne Bedacht gewählt, denn mit der Musik der New Yorker verhält es sich ähnlich. Gegründet im Jahre 1982 und deutlich beeinflusst von ebenfalls aus New York stammenden No Wave-Bands wie SUICIDE und TEENAGE JESUS AND THE JERKS (das erste Band-Projekt von Lydia Lunch) zelebrierten die SWANS in ihren frühen Jahren eine verstörende Mischung aus brachialem Noise-Rock und schrägen Industrial-Klängen. Ob der überflüssigen Cover-Version des JOY DIVISION-Songs „Love Will Tear Us Apart“ landete die Band 1989 kurzzeitig beim Major Universal Music, bevor Gira mit Young God Records sein eigenes Label gründete, um die musikalische Freiheit seiner Band zu gewährleisten.
Der brachiale Noise-Rock der frühen Tage entwickelte sich indes über melancholischen Goth-Rock hin zum akustisch dargebotenen Neo-Folk. 1997 löste Gira die SWANS auf und gründete mit den ANGELS OF LIGHT eine neue Formation, die den zuletzt eingeschlagenen Weg der SWANS fortsetzte und nahezu ausnahmslos auf düstere Akustik-Tracks setzte. 2010 schließlich rief Gira
die SWANS wieder ins Leben und kehrte zum wuchtig dröhnenden Industrial-Sound der frühen Tage zurück. Seither sind mit „My Father Will Guide Me Up a Rope to the Sky“ (2010) und „The Seer“ (2012) zwei hervorragende neue Alben erschienen und am gestrigen Abend gab sich Band erstmals seit ihrer Reformation in Frankfurt die Ehre. Als Location wurde standesgemäß der Mousonturm gewählt, in dem bereits andere Artrock-Größen wie EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, PSYCHIC TV und die RESIDENTS gastierten.Als ich in Bornheim eintraf, stand der Opener bereits auf der Bühne, doch nicht wenige Besucher zogen es vor, außerhalb der Location noch ein Bierchen zu genießen, denn, so die einhellige Meinung: „Die klingen ähnlich wie SWANS und zwei derartige Brecher muss man sich nicht hintereinander geben.“ Ich riskierte dennoch einen Blick und sah die italienische Band LARSEN, die ebenfalls auf Gira’s Young Gods-Label veröffentlicht und tatsächlich in eine ähnliche musikalische Kerbe wie der Hauptact schlägt, auch wenn es hier weitaus sphärischer, ruhiger und weniger brachial zuging.
Unterstützt wurde die Band – und dies machte den Gig erst sehenswert – von Underground-Ikone Little Annie (aka Annie Anxiety), einer amerikanischen Sängerin, die bereits seit Ende der Siebziger Jahre mit diversen Combos (u. a. KID CONGO POWERS, CRASS, COIL, NURSE WITH WOUND und CURRENT 93) und als Solo-Künstlerin aktiv ist. Das skurrile Auftreten und die markante, tiefe Reibeisen-Stimme, die ein wenig an Marianne Faithfull erinnerte, verliehen dem Sound von LARSEN etwas Magisches und so war es doch ärgerlich, dass ich nur noch zwei Songs miterlebte. Schade, dass der Support nicht auf der Konzertkarte vermerkt war…
Die nachfolgende Pause nutzte ich zu einem Abstecher an den Bierstand, an dem lächerlich kleine Plastik-Becher ausgegeben wurden (ich kenne Kneipen, in denen man aus solchen Gläsern Schnaps trinkt), von denen auch noch jeder zweite undicht war. Dies bot im grellen und ziemlich ungemütlichen Foyer des Mousonturms ein lustiges Bild, da viele Besucher damit beschäftigt waren, die Lecks ihrer Becher abzudichten. Ebenfalls im Foyer fielen Hinweisschilder auf, die vor einem „sehr“ lauten Konzert warnten und auf einen an der Garderobe erhältlichen Gehörschutz verwiesen. Die brachiale Lautstärke ist eines der Charakteristika eines SWANS-Gigs, Warnschilder dazu hatte ich allerdings noch nie gesehen.
Darüber hinaus legt Gira übrigens Wert darauf, dass bei seinen Auftritten Türen und Fenster geschlossen sind und zudem die Lüftung der Halle ausgeschaltet wird. Auf diese Weise will er ein Klima schaffen, das den Zuschauer an seine körperlichen Grenzen bringt und ihm somit ein Konzertereignis der besonderen Art beschert. Ob diese Maßnahmen gefruchtet haben, muss jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden, ich persönlich fand die Darbietung äußerst eindrucksvoll und dies vor allem, weil der Gig jeglichen Konventionen eines herkömmlichen Konzertes entbehrte.
Für den SWANS-Auftritt präsentierte sich das flexible Interieur des großen Saals mit seiner größten möglichen Fläche. Soll heißen, der Balkon war geschlossen und die großflächigen Treppen-Ebenen waren eingefahren. Und obgleich die Location nicht ganz gefüllt war, so war die Stimmung doch gut und der Einmarsch der New Yorker wurde von tosendem Applaus begleitet. Gira nahm mit seiner Gitarre den Platz in der Mitte der Bühne ein, hinter ihm tobten Schlagzeuger Phil Puelo und Percussionist Thor Harris (Foto unten), zu seiner Linken
zupfte Kristof Hahn die Steel Guitar und zu seiner Rechten wirkten Basser Chris Pravdica und Gitarrist Norman Westberg. Letzterer ist neben Gira der einzig verbliebene SWANS-Veteran, der 1983, also kurz nach der Gründung der Formation, zur Band stieß.Los ging’s mit einem minutenlangen Intro, das Mulitalent Harris mit manischen Streicher-Klängen erzeugte und das schließlich in den ersten von insgesamt sieben an diesem Abend dargebotenen Tracks überging. Sieben, das klingt zunächst nach einer kurzen Spieldauer des Konzerts, doch dem war nicht so.
Bereits der erste Song erstreckte sich über 15 Minuten und „The Seer“, das Titellied des aktuellen Albums, brachte es gar auf über 30 Minuten. Besagter Track war übrigens der einzige, der vom aktuellen Album gespielt wurde und neben „Coward“, einem Klassiker der 1986er-Scheibe „Holy Money“, der einzige der bereits auf einem SWANS-Tonträger veröffentlicht wurde.
Die restlichen fünf Songs waren allesamt neue, unveröffentlichte Nummern, die die Band seit Ende 2012 live präsentiert und die sich seither stetig verändern. Dieser Raum für Improvisation ließ beim Konzert ein Jazz- und Krautrock-Feeling aufkommen, obgleich die Band musikalisch mit ganz anderen Mitteln arbeitet.
Links: Liedtext zu „Oxygen“
Gira geht es nicht darum, Hits zu schreiben oder Songs zu produzieren, die man beim Joggen genüsslich auf dem iPod hören kann, er möchte den Zuhörer vielmehr psychisch und physisch berühren, etwas in ihm zu bewegen. Zu diesem Zweck hat er Versatzstücke des Drone, des Industrial, des Dooms und des No Wave genommen und daraus eine unbändige, launische Sound-Kreatur geschaffen, die in dieser Form einzigartig ist.
Weitere klangliche Akzente setzte Percussionist Harris, der neben diversen Schlaginstrumenten auch viele Streich- und Blasinstrumente einsetzte, die den Songs mal eine finstere, mal eine folkloristische oder gar orientalische Note verliehen. Und so war die Performance weitaus mehr als nur ein Konzert, bei dem
eine bereits seit drei Dekaden existierende Band ein Best-Of ihrer Stücke darbietet. Es war vielmehr ein eindringliches Erlebnis, das den Besucher auf intensive Art und Weise mit selten erlebten Klang-Landschaften konfrontierte. Mal ganz leise und nahezu lautlos, im nächsten Moment wieder brachial und verstörend. Gira agierte dabei nicht nur als Sänger und Gitarrist, sondern auch als „Dirigent“, der sein Künstler-Kollektiv mit beschwörender Gestik antrieb. Nach sieben Songs verneigten sich die Künstler schließlich und verließen die Bühne. Zurück blieb ein sichtlich beeindrucktes Publikum, das, wie nach einem intensiven Film-Drama von Bergman oder Lynch, erst einmal das Erlebte verarbeiten musste.SWANS sind definitiv eine Band, die man als Musik-Interessierter einmal gesehen haben sollte, nicht zuletzt wegen des charismatischen Bandleaders Michael Gira. Dieser stand seinen Fans im Anschluss an den Auftritt am Merchandise-Stand Rede und Antwort und signierte seine Werke. Alles in allem ein großes, beeindruckendes Konzert, an das ich mich wohl noch lange erinnern werde und das seinen Platz in meinen Top 5-Shows des Jahres bereits sicher hat. Lang leben die Schwäne!
Setlist: To Be Kind – Just a Little Boy – Coward – She Loves Us – Oxygen – The Seer – Toussaint Louverture Song
Links: http://swans.pair.com/, http://www.myspace.com/swansaredead, http://www.lastfm.de/music/Swans, http://www.myspace.com/larsentoit
Text & Fotos (1): Marcus / Fotos (9) & Clip (unten): Kai
Andere Clips: aufgenommen am Konzertabend von MusicazoidBox
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