Au, Frankfurt, 21.04.2017
Schon seltsam, wie sehr doch Zeit und Raum in Relation zueinander stehen. Während auf der anderen Seite des großen Teichs im fernen Amerika ein Stromausfall halb San Francisco lahm legte und in Dunkelheit tauchte, sorgten zwei Bands aus der Golden Gate- Metropole praktisch zeitgleich in Mainhattan für musikalische Lichtmomente und ausgelassene Pogostimmung: Die SWINGIN‘ UTTERS und TOYGUITAR rockten wie schon im März 2015 gemeinsam die Frankfurter Au, dass es eine Freude war.
Den Auftakt machten TOYGUITAR, von denen mir lediglich bekannt war, dass sie bei Fat Wreck gerade ihre ersten Platten veröffentlicht haben. Wer jetzt allerdings den für das Label stilprägenden Melodycore erwartete, der musste sich eines Besseren belehren lassen. Melodiös ja, Hardcore weniger, nicht allzu schnell, eher garagig-trashig, mal Proto-Punkmäßig, mal poppig, mal rockig mit Rummzack-Schlagzeugbeat. Irgendwie schwer einzuordnen, auf jeden Fall ein eigenständiger Sound, der sehr gut reinlief ohne aber Pogoorgien oder Jubelstürme hervorzurufen. Im Gegenteil, es war bisweilen merkwürdig ruhig zwischen den Stücken, wenn der wohlwollende Beifall abebbte. Wohl eher Ausdruck einer gewissen Unsicherheit mit den Songs nach dem erstmaligen Hören umzugehen. Und bevor das Quartett auch nur ansatzweise nerven konnte, verschwand die Band auch schon von der Bühne.
Warum der Auftritt von TOYGUITAR gerade mal eine gute halbe Stunde dauerte, wurde klar, als zwei der Musiker ihre Verstärker und Gitarren für den Auftritt mit den SWINGIN‘ UTTERS in Stellung brachten. Die Online-Recherche nach dem Konzert lieferte die Erklärung: Hier waren nicht irgendwelche Aushilfen am Werk, sondern mit Jack Dalrympl (Guitar) und Miles Peck (jetzt am Bass, bei TOYGUITAR noch an der Gitarre) standen Jungs auf dem Podest, die schon seit Jahren zum fest etablierten Stamm der SWINGIN‘ UTTERS gehören.
Zugegeben, irgendwie habe ich die UTTERS in all den Jahren etwas aus den Augen verloren, nachdem sie mir Mitte der Neunziger Jahre mit ihren ersten LPs den hymnenhaften Streetpunk amerikanischer Prägung in die Gehörgänge pusteten. Ich kann mich noch nicht mal genau daran erinnern, wann ich sie gesehen habe, aber es müsste auf ihrer ersten Europa-Tour gewesen sein. Damals lebte ich noch im Punk-Epi-Center in Hamburg, bevor dann vor etlichen Jahren der Umzug in die nordhessische Punk-Diaspora erfolgte. So richtig viel ist mir vom damaligen Auftritt nicht in Erinnerung geblieben. Das jedoch lässt weder Rückschlüsse auf die Qualität der Show seinerzeit zu, noch lässt sich daraus ein übermäßiger Alkoholkonsum mit Gedächtnislücken konstruieren, es mag schlicht und einfach an der beginnenden Vergreisung meiner Hirnwindungen liegen.
Egal, das gestrige Gastspiel in der Au bot reichlich Anlass, den Gig auch langfristig in guter Erinnerung zu behalten. Denn von Beginn an gab das Quintett um die Gründungsmitglieder Johnny Bonnel (Vocals) und Darius Koski (Gitarre) Vollgas und servierte ein Hitfeuerwerk durch die mittlerweile über zweieinhalb Jahrzehnte währende Bandgeschichte. Schlagzeuger Luke Ray (Ex- NOTHINGTON und COBRA SKULLS) machte mächtig Dampf in der Rhythmussektion und Klassiker wie „Windspitting Punk“ und „No Eager Men“ wechselten sich mit neueren Nummern wie „Librarians (are hiding something)“ und „Lungs“ ab.
Der UTTERS-typische, melodische Streetpunk mit jeder Menge Referenzen an STIFF LITTLE FINGERS, THE CLASH und andere 78er Punk-Heroen und seinen kehligen Vocals à la LEATHERFACE kam jedenfalls im prall gefüllten Konzertkeller bestens an: Da wurden Fäuste in die Luft gereckt, die Refrains textsicher in das entgegenstreckte Mikro gebrüllt und jede Menge Pogo getanzt. Angesichts der auf den Punkt gespielten Hitdichte war klar, dass die Band nach einer guten Stunde Spielzeit nicht ohne weiteres von der Bühne konnte. Lautstark wurde eine Zugabe eingefordert und der Fünfer aus der kalifornischen Hafenstadt haute mit „Beached Sailor“ noch mal einen echten Kracher raus.
Fazit: Rakete gezündet, Erinnerung aufgehellt, und mit dem guten Gefühl, mal wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, die Heimreise in die nordhessische Diaspora angetreten. Das hatte schon ein klein bisschen was von musikalischer Wieder-Erleuchtung in dunkler Nacht.
Links: https://www.facebook.com/toyguitarband/, https://toyguitar.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/ToyGuitar, http://swinginutters.com/, https://de-de.facebook.com/swinginutters/, https://myspace.com/swinginutters, https://swinginutters.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Swingin+Utters
Text & Fotos: Todde Sindel, https://www.flickr.com/photos/126331662
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