Burgwiesenhalle, Oberursel, 9.04.2016
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, den zweiten Tag des Taunus Metal Festivals etwas früher zu begehen, um illustre Acts wie etwa WHIPPER, LORD VIGO, METAL WITCH, HÜRLEMENT oder STEELPREACHER sehen zu können, doch lediglich der Geist war willig, das Fleisch aber schwach. Ich erreichte die Halle in Oberursel daher erst gegen 20 Uhr und ärgerte mich bereits, die Göttinger Death-Metal- Combo ATOMWINTER verpasst zu haben, denn die sollte eigentlich um 19 Uhr spielen. Aber das Schicksal meinte es gut mit mir. Durch die Soundchecks, die immer direkt vor den jeweiligen Gigs durchgeführt wurden, hatte sich alles um exakt eine Stunde nach hinten verschoben. So kam ich genau rechtzeitig zum Auftritt der Niedersachsen.
ATOMWINTER gibt es bereits seit sechs Jahren, in denen mit „Atomic Death Metal“ (2012) und „Iron Flesh“ (2015) bislang zwei Longplayer erschienen sind, wobei erst auf letzterem der aktuelle Frontmann O. Holzschneider zu hören ist. Geboten wurde schneller, teilweisende groovender Death Metal mit gelegentlicher Crust-Kante, der hier und da fast schon eine Punk-Attitüde erkennen ließ. ATOMWINTER feuerten ihre Songs wie Geschosse ins Publikum und
Atomwinter
stießen dabei auf willige „Opfer“. Konzeptionell wurde mit der „Panzer, Krieg und Tod“-Thematik, die auch Bands wie MARDUK und MAYHEM bereits bedienten, zwar das Rad nicht neu erfunden, letztlich passte es aber gut zum Sound. Für viele Besucher waren ATOMWINTER das eigentliche Highlight des Tages – und die Mädels im Publikum fanden die Haare der Jungs toll.
Als nächster Act standen die aus Hamm stammenden Thrasher DELIRIOUS auf dem Plan, die bereits seit 26 Jahren bestehen und es in dieser Zeit auf immerhin vier Alben gebracht haben. Auf den Bannern, die die Jungs aufgespannt hatten, prangte groß der Begriff „Bay-Area“, wobei mir nicht ganz klar ist, an welcher Küste Hamm denn liegen soll. Wenn mich nicht alles täuscht, liegt die Stadt im Dreieck Dortmund, Münster und Gütersloh, also weit von jeglicher Küste entfernt.
Delirious
Aber vielleicht sollte es ja auch als Anlehnung an Gruppen wie EXODUS und METALLICA gedacht sein, die aus der San-Franciso-Bay-Area stammen. Die Darbietung war auf jeden Fall solide und technisch hochwertig, wird mir aber sicherlich nicht in Erinnerung bleiben, denn dafür war das Song-Material dann doch zu durchschnittlich.
Über die nun folgende Band hatte Kollege Micha hier bereits einige Worte verloren, denen ich nur beipflichten kann. Die belgischen EVIL INVADERS erinnern tatsächlich an viele Acts, die in den 80ern zu meinen Favoriten zählten: AGENT STEEL, EXCITER, SAVAGE und ABBATOIR, um nur einige zu nennen.
Evil Invaders
Soll heißen, der Gesang ist hoch, sehr hoch, äußert sich oft in langen, Glasscheiben zerbersten lassenden Schreien (man denke an den Song „Agents of Steel“ von AGENT STEEL) und das Tempo gleicht dem eines Schnellzuges mit defekter Bremse. Das Quartett hat zwar mit „Pulses of Pleasure“ erst ein Album am Start, konnte aber bereits mit der 2013 erschienenen EP allerorts Lorbeeren ernten und ist vor allem für seine furiosen Live-Auftritte bekannt.
Dass dem tatsächlich so ist, bewiesen die Belgier auch gestern eindrucksvoll. Die Jungs gingen ab, als hätten sie einen Düsenantrieb im Arsch und ließen zudem einen besonderen Hang für Nebel im Allgemeinen und Nebel-Fontänen im Besonderen erkennen. Wann immer sich einer der Gitarristen oder der Bassist auf spezielle Podeste zur Rechten und zur Linken der Bühne stellten, schoss von unten und mit ordentlichem Druck Nebel empor und hüllte den jeweiligen Musiker komplett ein – ein schöner Effekt, der optisch einiges her machte. Tatsächlich überlege ich, ob ich so etwas nicht auch auf meiner Toilette installiere und es immer dann ausgelöst wird, wenn jemand die Spülung betätigt.
Wer HIRAX oder RAVEN mal live gesehen hat, kann sich ungefähr ein Bild machen, welche unglaubliche Action auf der Bühne dargeboten wurde. Ich hätte vermutlich bei einem ähnlichen Rumgetobe nach zwei Songs ins Sauerstoffzelt gemusst. EVIL INVADERS waren ohne Zweifel der heimliche Headliner des Festivals. Wem sich die Gelegenheit bieten sollte, sie live zu erleben, sollte nicht zögern, besser kann Speed Metal kaum klingen. Ich war begeistert. Nach dieser furiosen Show hatte es jede nachfolgende Band schwer und eigentlich, so auch der Tenor im Publikum, konnte nun nichts mehr kommen, was den Auftritt noch hätte übertreffen können. Viele Zuschauer traten bereits jetzt die Heimreise an, sodass von den geschätzten 250 Metalheads, die noch bei den EVIL INVADERS die Matte geschwungen hatten, nur noch etwa 150 übrig blieben.
Als vorletzter Act betraten etwa gegen halb eins die Griechen NIGHTBREED die Bühne, die vermutlich deshalb den prominenten Slot bekommen hatten, weil sie neben HÜRLEMENT (Frankreich), INSANITY ALERT (Österreich) und den EVIL INVADERS (Belgien) der vierte ausländische Gast des diesjährigen Festivals waren. Etwas verwunderlich war es dennoch, denn NIGHTBREED haben gerade mal ein Album vorzuweisen, das zudem erst im letzten
Nightbreed
Jahr erschienen ist. Konnte man den EVIL INVADERS noch vorwerfen, dass sie es mit Eighties-Metal-Gepose etwas übertrieben hatten, so traf auf NIGHTBREED das genaue Gegenteil zu. Hier gab es kaum Bewegung auf der Bühne, Sänger Nir Beer stand zudem relativ weit hinten und verweigerte die Nähe zum Publikum.
Etwas inkonsequent bot sich auch das Erscheinungsbild des Quintetts dar, denn zwei Mitglieder waren mit Pandabären-Makeup versehen, die anderen drei nicht. Hier sollte dringend ein Image-Berater konsultiert werden. Musikalisch war die Formation ganz passabel, obgleich der recht konventionelle Thrash Metal der Griechen mich nicht wirklich mitreißen konnte. Dafür fehlte schlichtweg das besondere Etwas, die Wildheit und der prägende optische Eindruck. Es kann natürlich auch sein, dass man noch zu sehr von den EVIL INVADERS verwöhnt war.
Mit zweistündiger Verspätung – eigentlich sollten der Gig bereits um 23 Uhr beginnen – wurde es schließlich Zeit für den finalen Akt. Exakt um ein Uhr betrat der offizielle Headliner die Bühne: IRON ANGEL. Die Hamburger haben 1985 und 86 mit „Hellish Crossfire“ und „Winds of War“ zwei legendäre Speed-Metal- Alben veröffentlicht, die heute Kult-Status genießen. Dass es die Jungs
Iron Angel
anno 2016 überhaupt noch gibt, war mir bis zur Ankündigung des Festivals nicht bewusst. Ähnlich wie ANGEL DUST, ASSASSIN, VIOLENT FORCE und LIVING DEATH war die Formation Anfang der 90er Jahre schlicht von meinem Bandradar verschwunden.
Obgleich es sich bei den Mannen auf der Bühne vom Altersdurchschnitt her durchaus um zumindest einige Musiker des Original-Lineups hätte handeln können, so war Sänger Dirk Schröder das einzig verbliebene Mitglied der Urformation. Wenn man den Angaben der Encyclopaedia Metallum Glauben schenken kann, so sind die beiden ursprünglichen Gitarristen gar bereits verstorben. Trotz fortgeschrittener Stunde waren die Jungs gut drauf und sorgten nochmal ordentlich für Stimmung, was nicht zuletzt an Urgestein Schröder lag, den ich mir auch gut als Marktschreier auf dem Hamburger Fischmarkt vorstellen könnte. Die Mischung aus Udo Dirkschneider (optisch) und Fips Asmussen (verbal) lieferte Sprüche wie „Ihr macht mich fertich…“ und „Ihr geht ja volle Möhre ab…“ und nötigte daraufhin einen meiner Begleiter zur Aussage, dass „der Typ so was von nicht evil“ sei. Das war zwar richtig, aber IRON ANGEL sind nun mal auch keine Black- oder Death-Metal-Band und müssen daher gar nicht die bösen Buben mimen.
Hier ging’s eher um klassischen, schnellen Speed Metal und ums Partyfeiern. Musikalisch wurden nahezu alle Kracher der beiden 80s-Scheiben gespielt (seither ist auch kein weiteres Studioalbum erschienen) und von den verbliebenen Zuschauern textsicher mitgegrölt. Die Zuneigung der Fans ging sogar so weit, dass ein junger Metalhead auf die Bühne kam und das Cover des ersten Albums, das dort als Banner thronte, anbetete. Anders als beim gestrigen Gig von WARRANT musste ich feststellen, dass Songs wie „The Metallian“, „Heavy-Metal-Soldiers“ und „Sinner 666“ (Videoclip dazu weiter unten) wesentlich besser gealtert sind und auch heute noch zu begeistern wissen. Daher: beide Daumen hoch für IRON ANGEL.
Abschließend gilt es einmal mehr den Veranstalter des Festivals – den Taunus Metal e.V. – zu loben, dem es wieder einmal gelang, interessante, kultige, schräge und exotische Bands an zwei Tagen im Taunus zu versammeln. Weiter so, wir freuen uns schon aufs nächste Jahr!
Links: https://www.facebook.com/Atomwinter/, https://www.facebook.com/deliriousthrash/, https://www.facebook.com/evilinvaders, https://www.facebook.com/NightbreedOfficial, https://witchesbrewthrashes.bandcamp.com/album/nightbreed, http://www.iron-angel.eu/, https://www.facebook.com/IronAngel.hh/
Text & Fotos: Marcus
Clip: am Konzertabend aufgenommen von FreddyJMeyers
Alle Bilder: