Schlachthof, Wiesbaden, 13.07.2018
Exakt zehn Jahre ist es her, seit wir das letzte Mal über THE DWARVES in diesem Blog berichtet haben und so bot der Gig am gestrigen Abend eine gute Gelegenheit zu überprüfen, wie sich die US-Punks in der letzten Dekade entwickelt haben. Meine erste Begegnung mit den Jungs aus San Francisco liegt indes bereits 24 Jahre zurück und fand 1994 im legendären Frankfurter Club Negativ statt. Damals noch beim nicht minder legendären US-Label Sub Pop unter Vertrag, waren die DWARVES Headliner einer Sub-Pop-Mini-Tour, bei der sie gemeinsam mit REVEREND HORTON HEAT und den SUPERSUCKERS unterwegs waren. Das aktuelle Album hieß 1994 „Sugarfix“ und die DWARVES waren zu dieser Zeit berüchtigt für ihre gewalttätigen und vor allem sehr kurzen Shows.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ein Kumpel von mir kurz vor dem Gig loszog, um – wohlgemerkt in der gleichen Straße – einen Döner essen zu gehen und bei seiner Rückkehr feststellen musste, dass der Auftritt bereits gelaufen war. Zwischen acht und zwölf Minuten dauerten damals die Shows, im Anschluss wurde das Schlagzeug umgeworfen, das Publikum bespuckt, mit Bier geduscht oder auch mal mit einer Gitarre geschlagen. Die Bad Boys der 1990er-Besetzung waren Shouter Blag Dahlia, Gitarrist HeWhoCannotBeNamed, der stets nur mit Stiefeln und Lucha-Libre-Maske auftrat, und Drummer Vadge Moore. Letzterer kassierte bei einem späteren Gig in der Räucherkammer des Wiesbadener Schlachthofs übrigens eine gehörige Tracht Prügel, nachdem er einem Konzertbesucher eine Bierflasche an den Kopf geworfen hatte – aber wer austeilt, muss auch einstecken können.
Doch diese Phase der DWARVES liegt bereits lange zurück. Mit Sänger Blag Dahlia, mittlerweile 52, kann man sich inzwischen unterhalten, ohne angepöbelt oder nach Koks und Nutten gefragt zu werden, Gitarrist HeWho ist nur noch als Studiomusiker und bei Gigs in Kalifornien mit von der Partie und Vadge Moore schied schon im Jahr 2000 aus. Laut damaliger Pressemeldung hatte er beim Jonglieren mit laufenden Motorsägen beide Arme verloren. Dies allerdings war eine ebensolche Ente wie der 1993 verkündete Tod von HeWho, der die Jungs wenig später ihren Vertrag bei Sub Pop kostete.
All dies macht bereits deutlich, dass die DWARVES alles andere als eine normale Band sind, sondern eine, die der ursprünglichen Tradition des Punk frönt und nicht unbedingt zu den politisch korrektesten Vertretern des Genres zählt. Wer nun allerdings vermutet, dass die Jungs ausschließlich von ihrer Show und ihrem Image leben, der sieht sich getäuscht. Die Kalifornier haben nicht nur ein exzellentes Album, sondern gleich mehrere rausgehauen, die sich auf dem Niveau von Genre-Klassikern wie den Erstlingswerken von D.I., den ADOLESCENTS oder den DESCENDENTS bewegen. Kurzum, wer auf California Punk steht, der kommt an den DWARVES nicht vorbei.
2018 ist von den alten Recken lediglich noch Blag Dahlia dabei, wobei man dazu sagen muss, dass die Formation seit jeher im Kern nur aus Blag und HeWho besteht und alle anderen Positionen von „Hired Guns“ bekleidet werden. Schon recht lange mit von der Partie ist allerdings Gitarrist Marc Diamond alias The Fresh Prince of Darkness von MOTORCHRIST, der auch auf der Bühne steht, wenn HeWho bei den Gigs in Kalifornien anwesend ist. Aktueller Schlagzeuger ist Hunter Down von den DECENT CRIMINALS und als Bassist fungiert derzeit Rex Everything, besser bekannt als Nick Oliveri, der einst bei KYUSS und den QUEENS OF THE STONE AGE die vier Saiten zupfte und seit 1996 an allen DWARVES-Longplayern mehr oder weniger beteiligt ist.
Allerdings sind die DWARVES nicht die einzige kreative Spielwiese von Oliveri, der Mann ist ebenso Teil der Punk-Combo SVETLANAS (zumindest studiotechnisch) und gehört dem All-Star-Hardcore-Act BLOODCLOT mit John Joseph von den CRO-MAGS, Joey Castillo (Ex-WAYSTED YOUTH und Ex-DANZIG) und Todd Youth (Ex-MURPHY‘S LAW, Ex-DANZIG) an. Darüber hinaus betreibt er unter seinem eigenen Namen sowie unter den Signets MONDO GENERATOR, UNCONTROLLABLE und NICK OLIVERI‘S DEATH ELECTRIC BAND eigene Projekte, die sich alle mehr oder weniger dem schnellen Punkrock widmen. Letztere Formation fungierte am gestrigen Abend neben der Karlsruher Deutschpunk-Combo TERRORFETT, die wir leider nur am Rande mitbekamen, als zweiter Support.
NICK OLIVERI‘S DEATH ELECTRIC BAND entpuppte sich vom Line-up her als die DWARVES ohne Sänger Blag Dahlia, wobei dieser bei einem Song sogar den Bass übernahm und somit die DWARVES-Besetzung komplettierte, was Nick Oliveri als Shouter die Möglichkeit bot, sich auf der Bühne auszutoben. Besagter Track war eine Cover-Version des GG Allin-Klassikers „Bite it you Scum“ und zugleich der beste Beitrag, den die DEATH ELECTRIC BAND gestern zu bieten hatte. Der Rest des Sets setzte sich im Gros aus MONDO GENERATOR-Tracks, aber auch einem KYUSS-, zwei QUEENS OF THE STONE AGE- und zwei DWARVES-Songs zusammen, die durch Nicks raue Vocals deutlich anders klangen als die Originale – das GG Allin-Stück mal ausgenommen. Das war unterm Strich okay, wobei mich die MONDO-GENERATOR-Lieder nicht vom Hocker rissen, aber durch die Covers war‘s zumindest recht kurzweilig.
Nach einer etwas längeren Pause – die gleichen Musiker mussten schließlich noch mal ran – standen dann endlich die DWARVES auf der Bühne, die in der nächsten knappen Stunde ein Feuerwerk ihrer größten Hits abbrennen sollten, das keine Wünsche offen ließ. Die Zusammenstellung der Setlist dürfte den Amerikanern nicht leicht gefallen sein, denn seit Mitte der 1980er Jahre sind gut ein Dutzend Alben und knapp 40 Singles und EPs erschienen, die ausreichend Material bieten. Und auch wenn die Jungs live mittlerweile weniger gewalttätig agieren, so ist das inhaltliche Konzept bis heute gleich geblieben: Es geht um Sex‘n‘Drugs & Rock‘n‘Roll, nahezu jedes Plattencover wird von einer nackten Frau geziert und Songs wie „Let‘s fuck“, „Sluts of the USA“ und „We Only Come to Get High“ sprechen eine deutliche Sprache.
Der raue, knarzige Punk der frühen DWARVES-Phase hat sich dabei spätestens seit dem Magnum Opus „The Dwarves are Young and Good Looking“ aus dem Jahr 1997 zum melodischen Bubblegum-Punk entwickelt, ist aber ob seines Tempos und der textlichen Aussagen immer noch weit davon entfernt, weichgespült und kommerziell zu klingen. Geboten wurden knapp 30 Lieder, von denen die meisten vom besagten 97er-Album und vom ikonischen „Blood, Guts & Pussy“ stammten. Ansonsten wurde die gesamte Bandbreite des Schaffens mit ausgewählten Songs abgedeckt, darunter auch zwei Tracks des aktuellen Albums „Take Back the Night“.
Ansagen gab es wie gewohnt kaum, hin und wieder wurde darauf hingewiesen, dass die DWARVES aus „Rock Legends“ bestehen und ansonsten ließ Blag lediglich verlauten, dass man sehr besorgt um die Umwelt und die Fauna und Flora sei und bot als Lösung des Problems einen Song mit dem Refrain „Let‘s Just Get High and Fuck Some Sluts!“ an. Die Band präsentierte sich dabei äußerst routiniert und die Tatsache, dass Oliveri gelegentlich Backing Vocals beisteuerte, empfand ich ebenfalls als positiv. Tatsächlich sagte Blag mir nach dem Konzert, dass er das aktuelle Lineup als das bis dato Beste ansehe, zumindest, wenn man ohne HeWho toure. Dem kann ich mich nur anschließen. Für mich war‘s ein rundum gelungener Gig, der schließlich mit den Hits „Dominator“, „Unrepentant“ und „We Must Have Blood“ endete. Rock Legends.
Links: http://thedwarves.com/, https://www.facebook.com/TheDwarves/, https://www.instagram.com/thedwarves/, https://thedwarves.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Dwarves
Text: Marcus / Fotos & Clip: Micha
Alle Bilder:
Einen Konzertbericht zu THE DWARVES vom Juli 2008 findest Du hier.
Ich kann mich an ein Negativ-Konzert mit den Dwarves, Referent Horton Heat und Unsane erinnern. Die Supersuckers waren da aber glaub ich nicht dabei…oder doch?
Hallo Oli, doch, waren sie. Die Supersuckers waren Opener des Abends, ich weiß noch, dass alle Bandmitglieder in olivgrünen Overalls aufgetreten sind, zudem konnte man am Merchstand ein Konzerposter – designt von Frank Kozik – erwerben, auf dem alle drei Bands aufgeführt waren. Cheers, Marcus
Hallo Marcus,
zwei kleine Anmerkungen:
„Letzterer kassierte bei einem späteren Gig in der Räucherkammer des Wiesbadener Schlachthofs übrigens eine gehörige Tracht Prügel, nachdem er einem The DwarvesKonzertbesucher eine Bierflasche an den Kopf geworfen hatte – aber wer austeilt, muss auch einstecken können.“
Ganz so dolle war es leider nicht, es blieb bei ein bißchen anbrüllen und an die Wand schubsen … war nämlich mein Kopf an dem die Flasche zersprang
und
im Negativ hatten sie nach meiner Erinnerung am vorderen Bühnenrand zwei „Aufpasser“ stehen, die verhindern sollten, dass das Publikum auf eventuelle Provokationen adäquat reagieren konnte …
Grüße aus Wiesbaden
dj