Live Music Hall, Mörlenbach, 5.11.2021
Endlich. Meine erste Clubshow seit Beginn der Pandemie stand an, also seit März 2020. Dazwischen habe ich nur eine Handvoll Live-Events erlebt – alle draußen, mit Distanz und Frischluft. Freunde von Lagerfeuer-kompatiblen Klängen zum andächtigen Lauschen hatten es dabei leichter, durch die kulturelle Verödung zu kommen, als die Befürworter heftigerer Tonkunst, die nun mal mehr funktioniert wenn man sich anschreien oder anrempeln kann und diverse Kaltschalen in die Aerosol-verteilende Kehle schütten darf. Oder anders: Kein Metal war auf meinem Speiseplan seit März 2020, heftiger Rock von z. B. THUNDERMOTHER, KADAVAR oder THE HIRSCH EFFEKT waren die Ausnahmen, ein Festival wie im Sommer vor dem Club „Das Bett“ (Bericht hier) ein Solitär. 2G macht das Wieder-Feiern möglich anlässlich einer halbwegs akzeptablen Impfquote und der Einhaltung von Hygieneregeln sowie Maßnahmen zur Kontaktverfolgung.
Seit ein paar Wochen schon öffnen die Clubs der Region wieder ihre Pforten und präsentieren nicht nur einheimische Gewächse mit kurzen Anfahrtswegen, sondern auch internationale Formationen. Zusätzlich explodieren die Postfächer mit Tourankündigungen en masse – wer einigermaßen solvent durch die Krise kam, kann sich jetzt fett gönnen. Trotzdem: Die Entscheidung, livetechnisch wieder am Start zu sein fiel mir nicht so leicht wie erhofft. Grund dafür: die erneut explodierenden Inzidenz-Werte im Herbst (aktuell beim Schreiben dieses Textes liegt die 7-Tage-Inzidenz in Frankfurt bei 215,28), bei stagnierenden Impfzahlen sowie der für immer mehr Menschen nötig werdenden Auffrischung. In der Region Bergstraße liegt sie gerade bei 152,02. Genau da wollte ich hin, Zeit dafür wurde es endlich mal.
Enter Live Music Hall in Mörlenbach (Weiher). Für Freunde gitarrendominierter Töne zwischen Bluesrock und Extrem-Metal ist die Live Music Hall eine Oase im Odenwald, unweit der nächsten Metal-Mekkas in Baden Württemberg, Weinheim und Mannheim. Für autolose Menschen wie mich jedoch im Gegensatz zu diesen nicht zu erreichen, bzw. zu verlassen nach einem Konzert, weswegen ich in der Vergangenheit dort Gigs von u. a. THE RUINS OF BEVERAST, UADA, SPIDERS oder AGRYPNIE schweren Herzens verpasste. Diesmal war es jedoch anders, dank eines fahrenden Kumpels. THULCANDRA sowie THE SPIRIT hatten sich angesagt, zwei dem schwarzen Schwedentod zugewandte Formationen aus München und dem Saarland, die beide den Sound von DISSECTION worshippen und in ansprechende Eigenkreationen verpacken.
Also wurde abgewogen und nachgedacht: Würden die pandemie-bedingt verschärften Einlasskontrollen dort ebenso bescheiden ausfallen wie in den meisten Restaurants in Frankfurt/Main? Das wäre blöd. Ist ein volles Haus zu erwarten, wie (vermutet) bei den einen Tag zuvor dort aufspielenden MARDUK? Wohl eher nicht, was wiederum ganz gut wäre. Schon mal gar nicht, nachdem THE SPIRIT ihren Gig kurzfristig canceln mussten wegen eines positiv auf Covid getesteten Bandmitglieds. In Landshut sprangen ihre Labelmates GROZA ein: Das wäre ein feiner Ersatz auch in Mörlenbach gewesen, doch waren diese bereits woanders verpflichtet.
Im Steinbruch-Theater in Mühltal sollte an diesem Tag ebenfalls Metal-technisch das Ende der Live-Abstinenz gefeiert werden; eine Verschiebung der dortigen Veranstaltung machte eine Zusammenlegung mit zwei verfügbaren Bands möglich. Die erste davon, ROOTS OF UNREST, stand um Punkt Acht auf der Bühne der Live Music Hall; das vorhandene Publikum hielt sich zu diesem Zeitpunkt zum Teil entweder draußen, hinten oder auf der Empore auf, was für ausreichend Abstand vor der Bühne sorgte. Seuchentechnisch war das fein, stimmungstechnisch eher semi. Wem dies jedoch beeindruckenderweise komplett am Arsch vorbei zu gehen schien, war Noch-Sänger Eddy, der das Quartett „aus privaten Gründen“ (FB) verlassen wird und somit seinen letzten Gig mit ihnen an diesem Abend spielte.
Zwei EPs existieren von den Death Metallern aus Dieburg, inhaltlich voller Filmreferenzen wie „Leatherface“ oder „Gremlins“ (von Eddy als „Lieblingsmonsterfilm“ tituliert). Zugegeben: Death Metal ist ein Subgenre, dass auf meiner persönlichen To-Hear-Liste in seiner reinen Form (also Crossover-los) ziemlich weit unten steht, wegen lokaler Vertreter dieser Zunft wäre ich im Normalfall niemals vor die Tür gegangen und schon gar nicht in den Odenwald gefahren. Dreierlei Dinge tackerten jedoch ein kontinuierliches Grinsen in meine Visage: Zum einen die Tatsache, gut gespielten Live-Metal mal wieder seit gefühlten Äonen zu erleben – ich hätte unter diesen Umständen vielleicht sogar Power-Metal abgefeiert. Zum anderen die zwar unter einer gewissen Morgensteife leidende, aber sehr konzentriert sowie souverän agierende Combo. Und last not least Eddy himself.
Den Abstand zum Publikum nahm er durchaus wahr und lud wiederholt zum Nähertreten ein, seiner Performance machten die Lücken vor ihm jedoch anscheinend nichts aus. So wie er witzelte und agierte hätte da ein voller Madison Square Garden vor ihm sein können, vielleicht sogar auch gar niemand. Eddy hatte Bock zu feiern, äußerte das des Öfteren („Unser erster Gig seit Corona. Wir haben Bock, Ihr auch?“) und zog dies kompromisslos durch. Von Abschiedsschmerz war nichts zu erahnen in diesen knapp 35 Minuten. Eddy wird seine Gründe haben, warum er aufhört. Ich hätte ROOTS OF UNREST gerne seinetwegen weiter verfolgt.
Die Covid-bedingten Einlasskontrollen funktionierten im Übrigen makellos, was durchaus zur Beruhigung beitrug und fast alle Anwesenden dazu animierte, den Mund-Nasen-Schutz abzunehmen. Diejenigen, die sich dazu entschlossen ihre Masken während des Abends aufzubehalten, mussten sich deswegen auch keine blöden Sprüche anhören, soweit ich das mitbekam. Alle Zweifel waren nun obsolet und ich schaltete in den Party-Modus. Mit noch mehr Death Metal.
FLESHSPHERE aus Heppenheim waren die nächsten, auch sie hatten ursprünglich vor, den Steinbruch in Mühltal zu bespaßen. Ein 3-Song-Demo gibt es von ihnen (bei Bandcamp), wie in einer Review bei den „Metal Archives“ korrekt angemerkt ein „Enjoyable Demo, even if you’re not the biggest fan of that style (Old School Death Metal)“. Im Gegensatz zu den Youngstern vorher wirkten FLESHSPHERE von Anfang an erfahren, souverän wie locker – die Runde Kurzer zu Beginn scheinbar ein Ritual, welches solch Lockerheit fördert. Alle Musiker des Quintettes sind oder waren vor FLESHSPHERE in anderen Bands aktiv (MORTIFIED, LUNATIC DICTATOR, etc.) und gehen somit als Szeneveteranen durch.
Ihr knapp einstündiger Auftritt war hoch professionell trotz kurzzeitigem Ärger mit der Technik, begeisterte und lockte mehr Menschen in die vorderen Reihen. Trotz Gitarrensoli zum Niederknien in den Stücken von den Gitarristen Maier und Mahoney war das zwar noch weit entfernt von einem akzeptablen Pit, aber es wurde langsam – das Cover von MANOWARs „Kill With Power“ schadete diesbezüglich nicht. Alles super, bis auf die wiederholt vorgetragenen „Behindert“-Sprüche des Sängers Tutter, der (wie passend) auch bei DISKRIMINATOR spielt. Die stimmlich wie präsentatorisch überragende Leistung des Fronters wurde durch das Humorverständnis eines ableistischen Zehnjährigen dabei leider ins Absurde überführt. Schade.
Die meisten Künstler schätzen es nicht sonderlich, wenn man ihr Werk ständig in Verbindung mit dem der maßgeblichen Einflüsse bringt – sie nicht mal mehr Epigone schimpft, sondern schon eher als dreistes Rip-Off. THULCANDRAs Steffen Kummerer – Fronter, Gitarrist und einzige permanente Konstante im Line-Up der Münchner – scheint so etwas ziemlich schnuppe zu sein. Der Musiker, dessen Haupterwerbsquelle die Progressive-Death Metal-Band OBSCURA darstellt (die ebenfalls dieser Tage einen neuen Tonträger veröffentlicht hat und eigentlich demnächst im Frankfurter Club „Das Bett“ auftreten sollte), erzählt in einem Interview im aktuellen Legacy mehr von vergangenen Live-Erlebnissen mit den Schweden DISSECTION, mit denen sie ständig verglichen werden und die u. a. ebenso WATAIN maßgeblich beeinflusst haben, als von den Dingen, die zum neuen Tonträger „A Dying Wish“ führten. Andreas Schiffmann geht in seiner Review im Rock Hard sogar soweit, die von DISSECTION geprägte „Beschwörung … der Neunziger-Atmosphäre“ als „einzige Daseinsberechtigung“ THULCANDRAs zu benennen – völlig wertschätzend gemeint.
Der Spaß sowie die Freude an seiner Musik war den größtenteils über alle Backen grinsenden Kummerer auf der Bühne jedenfalls ebenso permanent anzumerken wie beim Plausch mit Kollegen oder Fans am Merchstand. Dabei gingen der Entstehung des Tonträgers (leider mal wieder) diverse Todesfälle voraus, welche einen nicht unwesentlichen Einfluss beim Schaffen dieses Werkes hatten. Unter anderem starb Bassist Christian Kratzer unerwartet. Auf dem Album ist dieser noch teilweise zu hören; live übernahm, zumindest auf dieser Tour, Carsten Schorn den Viersaiter, den man hauptsächlich bei NAILED TO OBSCURITY erleben kann.
Mit dem SECRETS OF THE MOON-Drummer Erebor sitzt eine personelle Konstante seit 2014 hinter Kummerer, bei denen dieser live den Bass zockt. Erebors Bruder M. Delastik (beide sind außerdem der Motor von HARADWAITH) vervollständigt das Line-up seit 2017 an der Gitarre, war jedoch nicht auf der Bühne an diesem Abend und ebenso nicht bei den kommenden Gigs der Tour. Die Ehre gab sich stattdessen Kevin Olasz aka „Die Eule“ – ein Gitarrenlehrer, Sessionplayer und bandtechnisch aktiv u .a. bei GOD ENSLAVEMENT, DEADBORN oder MALADIE. Einer, der Prog- wie Avantgarde-Akzente zu setzen weiß zwischen Geknüppel und Gekeife und damit jeden Pit qualitativ durchaus aufwertet.
Da es jetzt endlich Black Metal zu erleben galt (wenn auch einer, der melodischen Death Metal als Miteinfluss zwingend zulässt) wurde nun der Bühnenvorplatz vom anwesenden Fachpublikum okkupiert – Platz zum Bier holen blieb dankenswerterweise weiterhin. Hochmotiviert und ansteckend glücklich schob Kummerer seine Truppe letztlich fast 90 Minuten durch den fortgeschrittenen Abend mit Schwerpunkt auf den aktuellen Longplayer sowie Highlights der drei Vorgänger, erst gegen 23.30 Uhr war Sense. Seine Ekstase bezog sich ebenso ausdrücklich auf den Ort der Veranstaltung, bei dem man noch „frisch bekocht“ und nicht „mit Tiefkühlpizza abgespeist“ wird. Ein toller Konzertabend war das mit ein wenig Normalität inmitten des pandemischen Treibens, welches gerade wieder Fahrt aufnimmt. Hoffen wir, dass konsequent durchgesetztes 2G sowie mehr Impfbereitschaft diese Normalität beflügeln. Es gibt einiges nachzuholen.
Links: https://www.facebook.com/Fleshsphere/, https://fleshsphere.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Fleshsphere, http://roots-of-unrest.de/, https://www.facebook.com/RootsOfUnrestOfficial/, https://www.last.fm/de/music/RootsOfUnrest, http://www.thetruethulcandra.com/, https://www.facebook.com/ThulcandraMetal, https://thulcandra.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Thulcandra
Text & Fotos: Micha
Alle Bilder:
Netterweise teilen Fleshsphere unseren Bericht auf Facebook. Da versichern sie: „Aber ich frage mich tatsächlich ob der Verfasser während des Gigs vielleicht Kopfhörer auf den Ohren hatte und ob da vielleicht dann gerade bei ihm Manowar lief.. also wir haben ausschließlich eigene Sachen gespielt. Und, b.t.w., das letzte was wir covern würden wäre ein Stück dieses Testosteron-Quartetts aus Übersee“. Ich bin nicht auf FB, also antworte ich hier: Sorry für die Verwechslung, eine von Euch Bands hats gespielt mMn – dachte im Nachhinein, das wäret ihr gewesen. LG, micha