Batschkapp-Sommergarten, Frankfurt, 8.09.2020
Sechs Monate. Sechs verdammte Monate ohne Live-Musik. Leser*innen dieses Blogs wissen wahrscheinlich, welch Lawine durch die Eingeweide rutscht, nachdem man nach einem halben Jahr wegen dieser widerlichen Pandemie als Freund live gespielter Klänge (vor allem der schweißtreibenden Art) Verzicht üben musste und nun wieder ein Konzert besuchen darf. Von Mitte März bis Ende August wurden alle Livebühnen wegen des Infektionsschutzes geschlossen – Musiker hatten kein Einkommen mehr, denn die Zeiten, in denen das Touren den Verkauf von Tonträgern ankurbelte, sind lange vorbei – die Tourneen sind inzwischen die primäre Einnahmequelle, neben den veräußerten Klamotten, die meist jedoch ebenso hauptsächlich von den Fans härterer Musikrichtungen gekauft werden.
Veranstalter oder Clubs baten um Spenden und waren gezwungen, sich neue Geschäftsmodelle zu erarbeiten für die Zeit nach dem „Lockdown“, der im Vergleich zu dem in anderen Ländern diesen Namen in Deutschland gar nicht verdient hat. Aber: Das wird von vielen Menschen nicht unbedingt so gesehen. Fakt ist jedenfalls, dass die Veranstalter-Branche mit am Längsten und
Zuschauer im Liegestuhl
Derbsten an den Verdienst-Ausfällen zu knapsen hat. Einen Tag nach dem hier (gleich) besprochenen Konzert wurde zu einer Demonstration in Berlin aufgerufen, bei der Lohnabhängige der Veranstaltungs-Branche wie Roadies oder Bühnenarbeiter auf ihr Elend aufmerksam machten (mehr hier), denn im Unterschied zu den zeitweise geschlossenen Geschäften oder Museen sind die Clubs immer noch größtenteils dicht. Doch einige Veranstalter
Publikum im Sommergarten
ließen sich etwas einfallen und arbeiten vermehrt zusammen, was uns nun den „Batschkapp-Sommergarten“ beschert: Der Parkplatz um die Halle wurde zur Veranstaltungsmeile umgerüstet – mit Biertisch-Garnituren, diversen Verköstigungsständen und Liegestühlen, immer mit ausreichend Abstand bedacht.
Beinahe täglich werden den Interessierten dort Konzerte unterschiedlicher Stilrichtungen kredenzt, dabei nicht nur von Musizierenden aus der direkten Nachbarschaft wie in den Wochen zuvor, sondern auch von nationalen bis internationalen Künstlern. Vollbesetzt geflogen wurde ja bereits in der Ferienzeit, und die Züge rollen ja ebenfalls wieder vermehrt durch die Republik. Gefüllt auch mit Menschen, die der Meinung sind, dass man ihnen genau dieses aus dubiosen Gründen verbietet. Ja, der Umgang mit der Pandemie ist kein leichter – vor allem, wenn deren Existenz von jenen Leuten bezweifelt wird.
Mit Hilfe des traumhaften Spätsommerwetters konnten Rock-Fans an diesem Tag jedoch auf vorläufige Erlösung hoffen – einen Tag später gastierten mit Mädness & Döll Hochkaräter des deutschen Hip-Hop an gleicher Stelle. Die BARRELHOUSE JAZZBAND kämpft gegen ihre finanziellen Nöte mit Matinee-Konzerten am selben Ort (u. a. 13.9.) an und das Zoom bringt hochgelobte Newcomer wie CARI CARI auf die Batschkapp-Bühne (15.9.). Ähnliches bietet der mit einer ebensolchen Parkfläche ausgestattete Club „Das Bett“ an – mit Akua Naru sowie Emirsian bescherte dort die Brotfabrik ein Highlight am 6.9., neben diversen Cover-Bands sorgen ebenda noch Sarah Lesch (18.9.) oder FAUN (20.9.) für Abhilfe bei Konzertentwöhnten. Ein kreatives Antrotzen gegen die Pleite, bevor der nahende Herbst zu weiteren Innovationen zwingt.
THUNDERMOTHER also vor der Kapp, aus Schweden, welches selbst einen mehr als streitsamen Weg durch die Pandemie ging, der von einigen gelobt, von anderen verurteilt wird. Das einzige (hard-)rockende Event auf dieser Liste. Kein Wunder – Abstand voneinander zu halten fällt bei Singer/ Songwritern sicher leichter als bei Rock’n’Roll, bei dem ohne Körperkontakt in Form von Anrempeln oder gar -springen für viele etwas fehlt. THUNDERMOTHER, die unmittelbar vor dem Inkraftreten der Corona-Verordnungen noch innerhalb der Halle für ROSE TATTOO eröffneten und dort für Begeisterung sorgten (unser Bericht steht hier). Und: Die in der Zwischenzeit mit ihrem neuen, vierten Longplayer „Heat Wave“ sogar auf vorderen Hitparadenplätzen in Deutschland gelandet sind (mehr hier).
AUSVERKAUFT! hieß es also relativ flott. Ich war selber gespannt und nervös vor dem Event. Wie würden die Hygiene-Verordnungen umgesetzt werden? Würden sich alle Gäste an die Maskenpflicht halten und falls nicht, wie würde die Security mit Verweigerern umgehen? Und: Würde THUNDERMOTHER-Alpha Filippa Nässil aka „Guitar Goddess“ (laut Band-Homepage) wieder auf den Schultern eines Roadies das (diesmal sitzende) Publikum umgraben?
Wie gesagt: Es herrschte absolutes Traumwetter. Beim Warten vor dem Eingangstor trug so gut wie niemand eine Maske, die ankommenden Fans stellten sich jedoch fast alle mit etwas Abstand voneinander in einer Reihe auf dem Bürgersteig auf. Fast – denn ein paar Superschlaue gibt es ja immer, die auf den letzten Drücker kommen und sich trotzdem unbedingt am Anfang der Schlange positionieren müssen – darunter auch die Blondine, die überlegte, ob sie mit ihrem kleinen Plastikvisier vor dem Mund, welches so oft als Maskenersatz benutzt wird, überhaupt rein darf. Durfte sie, zu meinem Bedauern. Beim Einlass hatten alle Masken auf und die ausgedruckten, personalisierten Tickets wurden mit den Ausweisen verglichen.
Da die Karten ausschließlich online im Vorverkauf zu erwerben waren hatte man im Falle einer Infizierung gleich schon eine Kontaktliste parat. Das lief weit besser als die meisten Restaurant-Besuche zur Zeit. In den ersten Reihen vor der Bühne standen paarweise Liegestühle zur Verfügung, dahinter dann etwa 50 Biertisch-Garnituren mit einem Fassungsvermögen von maximal acht Personen. An diesen Plätzen durfte man die Masken ablegen – beim Rumlaufen, um Bier oder Burger zu erstehen oder die Toilette im Inneren der Batschkapp zu besuchen war das Tragen wiederum Pflicht. Soweit ich das beobachten konnte lief das auch exakt so ab, Ärger mit Verweigeren von MNS gab es scheinbar nicht. Dafür später anderen.
Filippa Nässil sorgte noch für etwas Feinschliff vor dem Konzert auf der Bühne und begrüßte dabei schon den einen oder anderen im Publikum. Zur Zeit hätten THUNDERMOTHER eigentlich eine Club-Tour spielen sollen, mit zig Gigs in jeder zweiten Stadt mit mittelgroßem Laden – in der erweiterten Umgebung von Frankfurt waren Aschaffenburg, Bensheim, Fulda, Wetzlar und Kassel gebucht. Vier kleine Open Air-Shows wurden stattdessen deutschlandweit gespielt. Die üblichen Fotografen waren ebenfalls maskiert am Start, fast alle standen am Rand und durften während der obligatorischen drei Songs in den kleinen Graben. Zwei, der Kollege von der F.A.Z. und ich, hatten einen Liegestuhl ergattert. Rock’n’Roll im Liegestuhl – und das noch vor der Rente: Hätte mir jemand vor einem Jahr so etwas prophezeit, ich hätte ihn oder sie ausgelacht.
Als nach der obligatorischen Viertelstunde Verspätung die vier Ladies schließlich das Podest betraten war gleich Feuer auf der Bühne, mit einem Triple an Songs, die schon länger liveerprobt und nicht auf dem neuen Album sind. Nässil sowie ihre Mitstreiterinnen Guernica Mancini (Gesang), Majsan Lindberg (Bass) und Emlee Johansson (Schlagzeug) wirkten extrem gut gelaunt – eine Stimmung, die zwar von Anfang an vom sitzenden oder liegenden Fanvolk goutiert wurde, aber erst im Lauf der Show richtig ansteckte. Bangen im Liegestuhl geht schon, ist aber erstmal sehr gewöhnungsbedürftig. Irgendwann konnte man jedoch kaum anders. Die Stücke auf „Heat Wave“ – zumindestens mich überzeugen sie auf Platte weit weniger als die der Vorgänger – live und mit soviel Spielfreude performt zu hören, war jedoch ein sehr infizierendes Fest und THUNDERMOTHER während der nun folgenden 80 Minuten die absolut beste Band der Welt.
Die, wie immer, auch der wirklich besten Band der Welt einmal mehr huldigte: MOTÖRHEAD, mit einem an Lemmy erinnernden Basslauf bei „Deal With The Devil“. Normalerweise der Song, bei dem Nässil das Publikum besucht. Tat sie jedoch nicht, ist ja klar, Abstandsregeln und so? Pustekuchen. Etwas später und nach einem netten IRON MAIDEN-Zitat war es nämlich soweit: Ein Helfer schaffte der Gitarristin während ihres Spiels eine Maske ins Gesicht, bevor Tisch um Tisch rifffeuernd besucht wurde. Eine kollektive Rock’n’Roll-Ekstase mit viel Geblitze und wenig Abstand, ein ersehnter Old School-Moment, ein geplatzter Knoten nach sechsmonatiger Zwangsabstinenz. Endgeil. Unter Umständen jedoch infektionstechnisch grenzwertig, ebenso wie Mancinis gerne gefolgter späterer Aufforderung, lautstark mitzusingen.
Gemessen an dem Feuerwerk, das auf der Bühne veranstaltet wurde war das jedoch alles noch im Rahmen, die Leute blieben auch während der Feierei bei ihren Plätzen und verzichteten auf Moshpits oder ähnliche Konzertpraktiken. Die Einzigen, die einen Rüffel von der Security kassierten, waren hartnäckige Smartphone-Filmer – ein besonders renitentes und unbeeindrucktes Exemplar wurde schließlich unsanft vom Ort des Geschehens entfernt. Das schien jedoch der einzige Ärger gewesen zu sein in dieser lauschigen Sommernacht. Ich habe das Bedürfnis mich zu bedanken für diesen formidablen Konzertabend, bei den Batschkapp-Leuten sowie bei dieser exzellenten Formation, der ich nun am liebsten auf Tour folgen würde, sollte es sowas nochmal irgendwann geben. Bis dahin wird weiter an Ideen geschraubt für infektionsarme Hallenkonzerte. Finanzielle Unterstützung bleibt dabei weiterhin vonnöten.
Links: http://www.thundermother.com/, https://www.facebook.com/thundermother/, https://thundermother.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Thundermother
Text & Fotos: Micha
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