MY FRANKFURT – TRUST-Interviews über die Rhein/Main-Szene

Frankfurt, 12. Juli 2020

Trust Fanzine JanDen meisten Leserinnen und Lesern dieses Blogs wird das TRUST-Fanzine ein Begriff sein. Für alle anderen: Das TRUST ist das älteste Print-Punk/HC/ Underground-Fanzine in Deutschland. Es erscheint seit Sommer 1986 alle zwei Monate und wird bundesweit über Kioske an Bahnhöfen, Mailorder und über Szene-Strukturen wie zum Beispiel Plattenläden vertrieben. Das HQ des Trust war von 1986 bis Mitte der 90er in Augsburg und ist seitdem in Bremen. Die Redakteur*innen leben quer über die ganze Republik verstreut, viele davon waren auch in Frankfurt. Momentan hält Jan Röhlk für das TRUST in der Mainmetropole die Fahne hoch. Unter dem Motto „MY FRANKFURT“ stellt der 42-Jährige im Folgenden seine besten, die Musikszene Rhein/Main betreffenden Interviews u. a. mit Bands, Labels, Inhabern von Plattenläden und Verlagen vor.

Ich schreibe seit Ende 2003 für das Punk/HC-Fanzine TRUST Kolumnen und Rezensionen. Außerdem habe ich etwa 30 Interviews mit Bands, Labels und Autor*innen aus Frankfurt am Main und dem Rhein/Main-Gebiet geführt.

Da ich ursprünglich aus Leverkusen komme, seit 2006 in Frankfurt wohne und dieser für mich erst „ungewöhnlichen“ und nun doch sehr lieb gewonnenen Stadt und natürlich ihren Einwohner*innen etwas „zurückgeben“ möchte, wollte Jan Röhlkich mal einige meiner interessantesten Interviews als chronologische Link-Sammlung auf einen Blick zur Verfügung stellen. Meines Wissens gibt es noch keine Geschichte der Frankfurter HC-Punkrock-Szene der letzten 40 Jahre und schon gar nicht der letzten Jahre. Vielleicht hilft diese Sammlung weiter. Danke an das Team von Rockstage Riot, diesen etwas ungewohnten Beitrag zu veröffentlichen. Er ist in erster Linie als Information für Leute gedacht, die wissen möchten, was ein Außenstehender in Frankfurt so vorfand und ich denke, es sind einige repräsentative Gespräche dabei: Von Punkrock über Krautrock hin zu Hardcore, Popkultur, Film und den Erlebnissen einer Frankfurter HC-Band auf Tour in Deutschland und Holland.

Einige Passagen habe ich hervorgehoben, da ich sie besonders gut und/oder lustig fand. Das heißt natürlich nicht, dass die anderen Aussagen nicht gut wären, ist klar. Die Interviews sind teilweise alt, aber oft noch stimmig, wie ich finde. Zumindest erzählen sie ein bisschen von der Szene der 2000er (auch Trust Fanzinewenn es zuweilen Personen sind, die schon lange in der Punk/Indie-Szene Frankfurts aktiv sind wie Klaus Walter oder Eric Hysteric, der leider 2016 verstorben ist).

Komplett fehlen Metal, Elektronik, Popmusik, und und und. Ich weiß, dass in diesen Genres spannende Sachen in Frankfurt am Main passier(t)en, aber dafür fehlt mir einfach das tiefere Wissen. Und ich weiß um die Wichtigkeit von TANKARD und der STRASSENJUNGS für viele, aber auch hier fehlte mir die letztendliche „Kenne“. Als Punk-Fanziner genießt man das für mich immer noch besondere Privileg, nur seinen eigenen Obsessionen, Fragestellungen und Interessensgebieten nachgehen zu können. Totale Subjektivität also. Will sagen: Ich hatte einfach Bock auf die folgenden Interview-Partner*innen, weil mich ihre Musik, ihre Bücher, ihre Webseiten und Magazine begeistern. Ich bin Fan von ihnen.

Jan Röhlk, Sommer 2020

#120, 2006 – Mark-Stefan Tietze, Titanic-Redaktion

„Punk als disharmonischer Gleichklang von permanenter Revolution und tollem Gitarrenkrach ist mir immer sehr wichtig gewesen: Dass man sich bestimmte Dinge einfach rausnimmt, dass es nicht um Virtuosität geht, dass man fundamental wütend ist und dabei Stil und Spaß hat. Ich bin auch ein großer Freund von Turbonegro. ‚Apocalypse Dudes‘ ist eines der besten Alben der Welt.“

TITANIC MAGAZIN (#120, 10-2006)

#124, 2007 – Confused

„Wir bewegen uns nur gerne in der DIY-Szene, weil die Leute oft netter sind und der ganze Gedanke nach wie vor richtig und wichtig ist. Rockbusiness saugt! Auch wenn wir keine explizit politische Band sind, wissen wir doch, wo wir stehen. Denn die Position bestimmt sich aus dem, was man tut, nicht welche Parolen man drauf hat, nicht wahr?“

CONFUSED (#124, 06-2007)

#130, 2008 – S/T (zusammen mit Günter, Lucky Star Records)

„- Ich habe ja eben ein bisschen aus dem Wikipedia-Artikel über Psychedelic zitiert, dass es da einige ungenaue Stilbezeichnungen wie Acid-Punk gab und so. Es stimmt aber schon, dass Krautrock aus den USA kommt, oder?
Joachim: Ja, deshalb heißt es ja auch Krautrock.
– Ja, stimmt… Äh, Scheiße, nein, ich meinte natürlich Psychedelic, dass der aus den USA kommt, hab ich wirklich gerade Krautrock gesagt?
Joachim: Ja, haha, das muss aber unbedingt rein, oh Mann.“

S/T (#130, 2008)

#132, 2008 – Antitainment (zusammen mit Daniel, Trust)

„Was ich interessant finde, ist der Aspekt des Rock’n’Roll-Todes. Dass Leute live beim Konzert gestorben sind, das würde ich mir aussuchen, das wäre was. Ich habe früher Ska gehört und es gab mal diesen Solisten-Sänger, der mit einem Herzinfarkt auf der Bühne starb, das würde ich auch so machen. Judge Dread war das.“

ANTITAINEMENT (#132, 10-2008)

#133, 2008 – 30 Jahre SST Records u. a. mit Hazelwood Vinyl Plastics (zusammen mit Stone und Joachim, beide Trust)

„Meine nächste Erinnerung ist, dass ich gegen Morgen endlich kriechend mein Bett erreichte, in dem allerdings schon Mike Watt schnarchte. Er hatte fahrlässigerweise seinen Hotelschlüssel auf dem Küchentisch deponiert und Steve hatte die Gelegenheit genutzt und sein Hotelzimmer gestohlen. Mir blieb nichts anderes übrig als mit meiner damaligen Freundin und heutigen Frau diesen Baum von einem Kerl, diesen Alaska-Menschen, der mit blossen Händen Bären erwürgt, in den Flur zu schleifen. Als wir ihn losließen staunten wir nicht schlecht: Steif wie ein Ast, den Kopf im Nacken um 45 Grad nach oben geneigt, wie etwa beim Bauchmuskel-Training, lag er da, auf dem blanken Parkett – auch noch am nächsten Morgen! Joe meinte, das mache Mike immer so.“

SST RECORDS (#133, 12-2008)

#136, 2009 – Scheisse Minnelli

„Drogen nehmen und Drogenabhängigkeit ist ein grosser Unterschied! In meiner alten Band konnten wir nicht proben, wenn unser Gitarrist nicht erst vorher Heroin nahm, so was geht natürlich nicht. Party machen ist eine Sache, aber wenn es ein Lifestyle wird, ist es Bullshit, das macht keinen Spass mehr.“

SCHEISSE MINNELLI (#136, 12-2010)

#138, 2009 – Stage Bottles

„Als wir mit den Blaggers in Bristol gespielt haben, war jemand von den Festival-Organisatoren da. Der Veranstalter hat mich dann angemailt. Die Blaggers wollten allerdings erstmal nicht in Morecambe beim Wasted Festival spielen, sondern die Stage Bottles sollten das erstmal vorchecken. Beide Bands wäre auch gegangen, (..) aber wir sollten trotzdem erstmal vorchecken. Wir wussten auch nicht genau, was uns bei dem bunten Volk da erwartet, wie gefährlich es sein wird, wenn da 100 Faschos vor der Bühne stehen.“

STAGE BOTTLES (#138, 10-2009)

#139, 2009 – Plattenladen-Special u. a. mit Lucky Star Records und Sick Wreckords

„Warum alle möglichen Leute Passagen aus ‚Hi Fidelity’ zitieren, entzieht sich meinem Verständnis. Das Buch halte ich für so was von überbewertet. Eine Story von verkorkstem Beziehungsleben wird nicht dadurch besser, dass man sie im Umfeld von Musikbegeisterten und Plattensammlern ansiedelt. (…) Es gibt sicherlich solche Typen, die ihr Fachidiotentum auf solch krasse Weise mit sich herumtragen, dass sie anderen damit derart ‚auf den Sack‘ gehen, aber mir geht das ab. Wenn jemand von mir aus meinem Wissensgebiet Informationen haben möchte, bitteschön: Dann kriegt er sie, aber auf unaufgeregte Art und Weise. Wenn ich bei anderen mein Wissen erweitern will, mag ich auch keinen erhobenen Zeigefinger entgegen gereckt bekommen.“

PLATTENLADENSPECIAL (#138, 2009 )

#141, 2010 – Eric Hysteric (zusammen mit Joachim, Trust und Günter, Lucky Star Records)

„Stones, Ramones, Stones vor allem, einfach aus Prinzip, weil die das Lächerliche so lange ausgehalten haben, bis es jeder normal findet und es ist heute immer noch lächerlich. Musikalisch auch die Beatles. Die ersten zwei Ramones. Kinks natürlich. Nena mag ich. Von den Hosen finde ich viel gut. In den 60ern war es einfach unmöglich, eine eigene Platte zu machen, und durch Punk war das auf einmal kein Problem. Ohne Punk hätte ich nie eine Platte gemacht. Und das ganze Schminken, da war ich schon immer zu faul zu.“

ERIC HYSTERIC / Der Durstige Mann (#141, 04-2010)

#145, 2010 – Scheisse Minnelli-Tourbericht Deutschland/Holland

„Im Anschluss ging es mit alle Mann auf die Reeperbahn, in die Herbertstrasse und in Kneipen. Warum hier unnötig die Geschichte breittreten, dass der zweite Gitarrist von AA ‚zum Zuge kommen wollte‘, er jedoch – als Mexikaner – von der Bordsteinschwalbe abgelehnt wurde mit den Worten „Sorry, no black people”, worauf er sie mit ‚Fuck you, you Nazi Hooker‘ korrekt beschimpfte.“

Scheisse Minnelli Tourbericht aus #145, 2010

#153, 2012 – Hazelwood Vinyl Plastics

„Ich bin Film-Fan, ich mag gute Filme. Wenn ich nur Horrorfilme schaue, dann bin ich Horrorfilme-Fan, aber ist das was ganz anderes, als Film-Fan zu sein, verstehst Du? Genauso ist es mit Musik. Nur ein Genre ist langweilig.“

HAZELWOOD VINYL (#153, 2012)

#156, 2012 – Get Happy Records/Buch „They Could Have Been Bigger Than EMI“

„Heute ist mein Hauptaspekt der Bereich Psychedelic, da gibt es tolle Labels wie Pure Person Productions, mit Bands wie Earcandy und Mynd Music oder Dove Tale von Ozric Tentacles. Aber Fakt ist auch: Ich liebe sie ja eigentlich alle! Das obskure Label mit zwei Singles von 1980 und dasjenige mit drei Poppunk-Platten in den späten 90ern. Alle hatten kein Geld und keines ist wichtiger oder unwichtiger als andere. (..) Das ist einfach Enthusiasmus, das ist absolut klasse, pure Begeisterung, und warum sollte ich solche Label anders bewerten als zum Beispiel Industrial Records von Throbbing Gristle? Das alles gehört zu dieser wunderbaren Welt der Musik dazu.“

GET HAPPY RECORDS/They could have been bigger than EMI-Buch (#156, 2012)

#157, 2012 – Vinyl-Special u. a. mit Daniel, Schallplatten Schneid Technik Brüggemann (zusammen mit Andrea und Joachim, beide Trust)

„Es ist manchmal von Vorteil, wenn die Musik nicht meinem Geschmack entspricht, alles andere lenkt manchmal stark ab. Bei Musik, die ich privat nie hören würde, gibt mir das die Freiheit, ausschliesslich auf technische Aspekte zu achten. Das wird ja auch von mir erwartet.“

VINYL-SPECIAL (# 157, 12-2012)

#160, 2013 – Streaks Records

„Ich habe die Platte so beworben, dass sie klänge, als würden Joy Division und St. Vitus harten Sex auf einem Friedhof haben. Also irgendwie hat die finnische Band es geschafft, auf eine ganz eigene Art Punk und Doom zu vereinen und dabei brutal, kalt und doch warm zu klingen.“

SCHIZOPHASIA UND STREAK RECORDS aus #160, 2013

#162, 2013 – Ventil Verlag

„Jonas: Nee, wer soll das bestimmen, was gute Musik ist. Es geht mir darum, Musik zu finden und aufzuspüren, in der was drin steckt, was mehr ist, das ‚jenseits‘ der Musik, um Fragen, die auch andere gesellschaftliche Felder berühren. Ich finde, testcard hat nicht diese elitäre Haltung.

Ingo: Das ist auch ein alter Vorwurf gegenüber der testcard… zu viele Fußnoten, usw.! Die Welt ist komplex und kann nicht mit ‚eins-zwei-drei-vier‘ abgebildet werden.“

Ventil Verlag (#162, 2013)

#164, 2014 – Klaus Walter

„Nein, Glam war in meiner damaligen Sozialisation ‚verboten‘, das war Kommerz!!! Ich habe Glam also erst im Nachhinein verstanden und später erst geliebt, ich war damals mehr so Prog-Rock und so ein Scheiß, shame on me. Irgendwie war es aber auch eine Klassenfrage, es gab halt einfach eine klare Klassendistinktion: Ich bin jetzt nicht aus der Oberklasse, aber ich war halt auf dem Gymnasium und da hat man eher King Crimson und Van der Graaf Generator oder so gehört, anstelle von Sweet und Slade. David Bowie, der war so… na ja, mal so und mal so. (lacht)“

KLAUS WALTER (#164, 2014)

#172, 2015 – Lucky Star Records

„- Freust Du Dich besonders, wenn Du zum Beispiel jungen Leuten ne Fugazi-Platte vertickst, so nach dem Motto ‚Yes, Bildungsauftrag erfüllt‘?
Günter: Nein, bekehren kann und will ich die Leute nicht. Manche sind glücklich, wenn sie gerade die ‚Rumours‘ von Fleetwood Mac kaufen…
– Geile Platte, findet meiner einer.
Günter: Wahrscheinlich (lacht). Also, die ‚Rumours‘ gibt es bei mir auch, kein Problem. Interessant bei Fleetwood Mac ist ja, dass ihre Geschichte schon in den 60ern beginnt, als sie noch reine Blues-Platten machten. Dementsprechend kann ich dann wiederum manchmal die Kunden dazu verführen, sich die Platten aus der Zeit anzuhören, denn die sind ja auch Bestandteil der Historie der Band und wenn Du Dich dann damit beschäftigst, dann weißt Du auch, warum es zu einer ‚Rumours‘-Platte kommen musste“.

LUCKY STAR RECORDS (#172, 2015)

#174, 2015 – Untergrund Navigator

„Das ist aber ein grundsätzliches Problem in Frankfurt, das sich alles verläuft. Deiner zugespitzten These kann ich nicht wirklich zustimmen, es kann nicht genug DIY-Läden geben, finde ich. Das Publikum wächst auch am Angebot. Wenn ich jetzt ins Ex (Anm. d. Verf.: das Exzess, Konzert- und Politikladen seit 1986) gehe, kenn ich kaum noch jemanden, da sind neue Generationen nachgewachsen, der Bedarf ist doch eindeutig da! Klar ist es nervig, wenn es mehrere Konzerte am Abend gibt, aber möchte das irgendjemand einschränken? Glaube nicht. Dann wirf halt ’ne Münze. (lacht)“

UNTERGRUND NAVIGATOR RHEIN-MAIN (#174, 2015)

#178, 2016 – Bad Press

„Ich glaube, Led Zeppelin haben gesagt ‚Bad Press is the best press you can get‘ und wir wollten die Besten sein. Nee, es gibt keine gute Story dahinter. Wir wollten etwas mit double Bedeutung und wir fanden es lustig. Scheisse Minnelli hat halt genug Bad Press, haha.“

BAD PRESS (# 178, 2016)

#182, 2017 – Front

„Ja, an die meisten Coverstücke kann ich mich noch erinnern. Das waren zum Beispiel ‚Zurück zum Beton‘ und ‚Lachleute und Nettmenschen‘ von SYPH, ‚Innenstadtfront‘, das Pate für unseren Namen stand, ‚Herrenreiter‘ und ‚Intelnet‘ von Mittagspause, ‚Computerstaat‘ und ‚Roboter in der Nacht‘ von Abwärts, ‚Wie lange noch‘ und ‚Stumpf ist Trumpf‘ von KFC, ‚Hahnenkampf‘ von ZK, ‚Risikofaktor 1:X‘ und ‚Vaterland‘ und noch ein paar andere mehr, auf die jetzt nicht komme. Da wir ja als reine Coverband begonnen haben, waren das schon unsere Vorbilder sozusagen.“

FRONT #182, 2017

Links: https://trust-zine.de/, https://de-de.facebook.com/TRUSTZine/, https://www.instagram.com/trust_fanzine/

Interviews: Jan Röhlk, Kontakt: Jan(at)trust-zine.de
Fotos (2): Stefan

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