Au, Frankfurt, 15.02.2012
Es gibt naturgemäß verschiedene Möglichkeiten, den menschlichen Endorphinhaushalt zu pushen. Man kann ein paar Tafeln Schokolade verdrücken, mit seiner/m Liebsten unter die Bettdecke kriechen – oder ein Konzert von TIMOTHY, genannt T.V. SMITH besuchen. Was dieser schmächtige, unscheinbar wirkende Engländer im Trägerhemdchen mit seiner Gitarre auf der Bühne leistet, ist mit phänomenal eigentlich nur unzulänglich beschrieben. Ich sah ihn 2010 im Backstage, damals spielte er sage und schreibe 47 Songs in knapp drei Stunden und hinterließ – wie häufig – ein ebenso staunendes wie begeistertes Publikum. Ich erinnere mich noch daran, dass ein Zuhörer ihm eine Bierflasche entgegenstreckte und „Prost“ rief. T.V. antwortete lächelnd in seinem charmanten „Denglish“: „Ich würde gerne etwas trinken, aber ich habe keine Zeit!“. Wie schon erwähnt, der Gig dauerte fast drei Stunden…
Gestern war der inzwischen 55-jährige Ex-Sänger der Punkband ADVERTS als Support für die UK SUBS das erste Mal solo in der Au zu sehen. Natürlich war diesmal kein Song-Marathon zu erwarten, da dies den Rahmen des Abends gesprengt hätte. Dennoch durfte man gespannt sein, welche Lieder seiner inzwischen zahlreichen Veröffentlichungen es in das verkürzte Programm schaffen würden.
Das Set bestand aus vier Teilen: Einer Zusammenstellung älterer Hits wie „Not in My Name“ (als Opener), „Lion and the Lamb“, „Immortal Rich“ (siehe den Clip weiter unten) und „Good Times are Back“. Dazu Lieder der letzten beiden Alben „Coming in to Land“ (2011) und „In the Arms of my Enemy“ (2008) mit den jeweiligen Titelsongs. Außerdem präsentierte er Stücke seines neuesten Projekts „Dangerous Playground – Vier Lieder für das Theaterstück Der kalte Kuss von warmem Bier“, darunter das Deutsch gesungene „Stacheldrahtmann“ über einen DDR-Grenzer. Zu guter Letzt noch die beiden ADVERTS-Hits „Gary Gilmore’s Eyes“ und „Bored Teenagers“ aus den Siebzigern, die zu jeder T.V. SMITH-Show gehören und bei denen immer heftig abgetanzt wird. Gerne hätten ich und vermutlich alle anderen in der rappelvollen Au noch viel mehr gehört, aber die UK SUBS wollten schließlich auch irgendwann vor dem Morgengrauen anfangen.
„Fernsehschmidt“, wie er sich selbst während des Konzerts nannte, hat übrigens auch durchaus interessante politische und sozialkritische Texte zu bieten. Er tritt aber keineswegs als verbohrter Weltverbesserer auf, sondern bringt seine Reflexionen über das (Nicht-) Funktionieren unserer Gesellschaft in seinen Stücken und den Ansagen auf der Bühne auf erfrischend unbelehrende Weise rüber. Es lohnt sich also, mal in den Lyric Sheets seiner Tonträger zu blättern.
A prospos Tonträger: Die Doppel-CD mit dem Titel „TV SMITH Live at the N.V.A. Ludwigsfelde“ (erschienen 2009 auf Boss Tuneage) gibt genau jenes Konzertfeeling wider, das mir bei den Gigs – wie auch diesmal – die ein oder andere wohlige Gänsehaut beschert – absolute Kaufempfehlung. Ebenfalls sehr gut ist das Album „Useless – The Very Best of…“, das er 2001 mit den TOTEN HOSEN
als Backing-Band eingespielt hat. Das alles (und noch viel mehr) gab es gestern am reich gedeckten Merchtisch, an dem der Künstler nach seinem Einsatz gemütlich mit den Besuchern plauschte und gern jeden Autogrammwunsch erfüllte.Zum Stöbern eignet sich seine Website http://www.tvsmith.com/: In der Rubrik „Archives“ gibt es u. a. eine detaillierte Auflistung sämtlicher Gigs (es sind hunderte) seit 1973, bei vielen ist sogar die Setlist dabei. Unter „Songs“ sind sämtliche jemals performten Stücke aufgeführt, es sind inzwischen weit mehr als 200. Zudem gibt es ein Ranking von „T.V. SMITH’s Top 100 Songs“, und, und, und…! Für alle Gitarristen: Wer sich für die Herkunft des hervorragend klingenden Instruments von T.V. interessiert, kann auf der Website erfahren, dass es sich um ein handgefertigtes Einzelstück aus einem sehr kleinen Handwerksbetrieb in Devon (http://www.brookguitars.com/) handelt und ein paar Bilder von der Fertigung ansehen. Auf http://www.myspace.com/tvsmith sind einige Stücke zu hören.
Ach ja, die UK SUBS traten ja auch noch auf. Und das genauso ass-kicking wie immer. Was genau sich während der Show der Band um Punkrock-Legende Charlie Harper abspielte, erfahrt Ihr hier.
Text: Stefan / Fotos & Clip: Kai
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