Colos-Saal, Aschaffenburg, 7.01.2014
Wer wie ich altersmäßig an der 50 kratzt und in Deutschland, bzw. der BRD aufgewachsen ist, kam gar nicht drumherum, mit den SCORPIONS konfrontiert zu werden. Als Metal- und Hardrock-Fan sowieso. Als ich Anfang der 80er diese Musik für mich entdeckte, kam die „Blackout“ raus, das Album mit dem genialen Gottfried Helnwein-Cover. Die SCORPIONS waren zu dieser Zeit erfolgs-und qualitätstechnisch auf einem Level mit Bands wie JUDAS PRIEST (naja, fast), WHITESNAKE oder BLUE ÖYSTER CULT, was bemerkenswert auch deshalb war, da die SCORPIONS eine deutsche Combo sind und ihnen in puncto Erfolg bis RAMMSTEIN niemand das Wasser reichen konnte.
Bespielten die SCORPIONS auf der „Blackout“- Tour noch die Stadthalle Offenbach, so rückten sie mit dem nächsten Album „Love At First Sting“ 1984 in AC/DC- Dimensionen vor, sprich Festhalle Frankfurt, und sind auf diesem Level bis heute geblieben. Bei diesem Album fing ich jedoch wegen Schmachtfetzen wie
![](http://www.rockstage-riot-rheinmain.de/wp-content/uploads/2014/01/Uli-Jon-Roth-Schrift-225x263.jpg)
Das folgende und weltweit bekannte Wiedervereinigungsgepfeife der Band („Winds of Change“) mag musikhistorisch vielleicht ein absoluter Knaller sein, führt bei mir persönlich aber die Liste der ubiquitären und zum Reihern anregenden Rockschlager mit großem Abstand an. Immer, wenn die SCORPIONS z. B. im Fernsehen zu sehen waren oder sind, geht es um diesen Song. Und immer, wenn sie irgendwo auftreten, spielen sie das. Während alle also immer zu den SCORPIONS rannten, rannte ich vor ihnen weg. Und habe deswegen jahrzehntelang nicht realisiert, welch erlesene Alben unter deren Namen veröffentlicht wurden.
Uli Jon Roth (links), um den es hier ja eigentlich geht, war der Lead-Gitarrist ab dem zweiten SCORPIONS- Album „Fly To The Rainbow“ 1974 und löste damit den zu UFO abgewanderten Original-Lead-Gitarristen Michael Schenker ab (Bandboss Rudolf Schenker spielt auch Gitarre). Das ist inzwischen 40 Jahre her, weswegen eben dieser Uli Jon Roth, der die Band nach vier Jahren bereits
wieder verließ und ELECTRIC SUN gründete, gegenwärtig auf Jubiläumstour hauptsächlich SCORPIONS- Songs der Alben von „Fly To The Rainbow“ bis „Taken By Force“ (1977) spielt. Songs, die ich spät, kaum oder bisher gar nicht gehört habe. Was ein echtes Versäumnis darstellt, wie ich heute weiß.Zu seiner Unterstützung (und zwar als Vorband sowie teilweise als Mitmusiker seiner Hauptband) hat Roth die Hannoveraner CRYSTAL BREED (unten) dabei. Die spielen etwas, was man allgemein Progressive-Rock, bzw. -Hardrock nennt.
Wie auf diesen Seiten bereits mehrmals erwähnt, ist das nicht unbedingt meine Musik, aber gut: Auch frühe SCORPIONS-Alben haben eine starke progressive Schlagseite, da passt das schon. Dass beim Titelsong ihres Albums „The Place Unknown“ Gitarrist und Sänger Niklas Turmann (links) zum kastratenhaften Mitsingen aufforderte, empfand ich persönlich als belästigend und aufgrund ihres mangelnden Bekanntheitsgrades fast schon als anmaßend. Was soll’s, ich habe ja zum Glück meine Kamera dabei, um mich dahinter zu verstecken. Vor Ort empfand ich die Band als kompetent, bezweifelte aber, sie noch mal hören zu wollen. Jetzt, nachdem ich sie mir wegen dieses Textes doch noch zu Gemüte führte, finde ich sie langsam aber sicher immer besser. Aber auch das passiert mir ja oft mit dem sogenannten Progressive-Rock.Turmann und Keyboarder Corvin Bahn (rechts) kamen später mit Uli John Roth wieder auf die Bühne, begleitet vom englischen Schlagzeuger Jamie Little. Letzterer ist laut seiner Webseite ein „Top Session Drummer“ – was unter anderem bedeutet, dass er an dermaßen vielen saublöden Chartalben beteiligt war, dass ich mir eine Aufzählung hier tunlichst verkneife; allerdings hat er auch mit sehr vielen kompetenten, aktuellen und klassischen Bluesmusikern gespielt, wie der
Fairness halber erwähnt sein sollte. Außerdem dabei war der ehemalige ELECTRIC SUN-Mitstreiter Ule W. Ritgen (links) am Bass und ein junger Gitarrist, den ich nicht zweifelsfrei identifizieren kann – zwar ist Roth oft mit dem Bluesmusiker Ali Clinton unterwegs (und sehr bluesig war auch das Spiel des Anwesenden) – auf den Bildern, die ich von Clinton gesehen habe, spielt er aber mit der rechten Hand Gitarre. Der Kerl auf der Bühne tat das mit der Linken.Die Gäste im Colos-Saal waren meist um die 40 aufwärts, ein paar junge Leute mit und ohne SCORPIONS-Shirts waren auch da. Besonders ein kahlköpfiges Kraftpaket, das so gut wie jeden Song mitsingen konnte, entlockte dem Meister an der Gitarre so manches Lächeln. Vieles, was von Alben wie „In Trance“ oder „Taken By Force“ gespielt wurde, kannte ich leider nicht. Reingehört habe ich vor dem Konzert dagegen in das SCORPIONS- Debüt „Lonesome Crow“, das mir zwar extrem gut gefiel, aber leider, wie ich am Konzerttag noch nicht wusste, von Roth’s Vorgänger Michael Schenker eingespielt wurde. Kein Wunder, dass davon nichts kam. Erweitert wurde der Rahmen durch das zehnminütige „Hiroshima“ von ELECTRIC SUN und einem Song, den ich für ein Hendrix-Cover hielt.
In der Zugabe des knapp zweistündigen Konzerts wurden noch die ersten beiden Songs der LP „Virgin Killer“ ausgepackt, „Pictured Life“ und „Catch Your Train“, wie die meisten Sachen der SCORPIONS gesungen von Niklas Turmann (der gesanglich zwar nicht an Klaus Meine heranreicht, aber wer tut das schon?). Alles in allem war es ein wunderbarer Gitarrenrock-Abend, der mich dazu brachte, ein paar alte SCORPIONS-Scheiben zu ordern. Hätte mir das jemand vor einem halben Jahr prophezeit, ich würde ihm eins gepfiffen haben. Und wenn das Konzert in der Hauptsaison im Frühjahr oder Herbst stattgefunden hätte, wäre ich dort wohl gar nicht aufgeschlagen und hätte eine erlesene Show verpasst. Ein Beweis, dass es sich lohnt auch mal Bands zu besuchen, bei denen man nicht jeden Ton mitsummen kann.
Links: http://www.ulijonroth.com/, https://myspace.com/ulijonroth, http://www.lastfm.de/music/Uli+Jon+Roth, http://www.crystalbreed.com/, https://myspace.com/crystalbreed, http://www.lastfm.de/music/Crystal+Breed
Text & Fotos: Micha
Mehr Bilder: