WALTARI & PVRS

Ponyhof, Frankfurt, 29.10.2024

WaltariNeulich klargemacht, dass weder ich noch die Welt ein Crossover-Revival braucht – und dann zu einer der crossoverigsten Formationen ever abgezappelt, soweit dies die maroden Knochen zulassen (siehe unseren Bericht zu LIVING COLOUR hier). Ungleich zu dem H-BLOCKX-Gig (der einen Tag später die Frankfurter Batschkapp komplett ausverkauft füllte) im weit bescheideneren Ambiente des Sachsenhausener Clubs Ponyhof, den ich tatsächlich das allererste Mal besuchte. Schande über mein Haupt. Doch egal, die finnischen Crossover-Monster WALTARI, die ich in den 90ern vergötterte und denen ich zuletzt 2011 im Frankfurter Nachtleben lauschte, kann ich nicht in meinem Heimatort verpassen. Zumal sie mit einem äußerst interessanten Voract vorbeikamen, nämlich den Belgiern PVRS. Die passten stilistisch gar nicht zum Headliner, wenn man die Tatsache außer acht lässt, dass im Sound von WALTARI selbstverständlich alles auftaucht – also auch Doom, Sludge und was das belgische Duo sonst musikalisch auszeichnet. Ich sag ja – es gibt (oder gab) Crossover. Und es gibt WALTARI, deren Stilmischmasch jede andere Genreband in den Keller verweist. Doch dazu später mehr.

Über die pünktlich um 19.30 Uhr aufspielenden PVRS Genaueres zu erfahren, ist gar nicht so einfach. Das Duo hat eine Bandcamp-Seite, auf der es das bisher einziges Album „Solstice“ sowie eine Single vertreibt. Dazu die üblichen Meta-Profile, die man sich als jemand, der diesen ablehnend gegenüber steht und sich PVRSdementsprechend nicht dort registriert, höchstens drei Minuten lang ansehen kann. Macht nichts, jetzt kann man sich ja dank Rockstage Riot ein Bild machen, was die bisher ungesignte Formation anzubieten hat.

PVRS stammen eigenen Angaben zufolge aus Lüttich (Metal Archives sagt Brüssel) und bestehen aus Jean-Pierre Mottin (Gesang und fünfsaitiger Bass) sowie Twan Landrin (Schlagzeug). Während Mottin anfänglich etwas schüchtern auf die wenigen Nasen im Raum reagierte, die dazu noch fast alle den Platz vor der Theke frequentierten und dementsprechend Abstand zur Bühne hielten, pushte Landrin von Sekunde Eins an mit vollem Körpereinsatz die dargebrachte akustische Dampfwalze nach vorne.

PVRS

„Post-Doom“ bezeichnen die beiden ihren Sound treffend – derbe Sludge-Einsätze waren jedoch ebenso nicht von der Hand zu weisen, als sich die beiden durch ihren ausschließlich auf Vinyl und Tape erhältlichen Longplayer „Solstice“ frästen. Exakt 33 Minuten lang durften sie das – am Ende war der Platz vor der PVRSBühne voller, Mottin wie sein Kollege absolut drin im Metier und alle Zeichen standen auf „Abriss“. Sehr geiles Zeug, was die Jungs machen – hoch energetisch wie die Kollegen MANTAR mit modernerem Klang.

Die halb zerbrochenen Schlagzeugstöcke, die im Publikum landeten, wurden brav zurückgegeben, was Landrin mit einem Lächeln quittierte, von dem ich nicht weiß ob es aus Freude über die aufmerksamen Hörenden gespeist wurde oder aus Verwunderung, warum die Leute ihr angebrochenes Souvenir nicht wie woanders einfach behalten. So massiv die Soundwand, so freundlich und umgänglich waren die beiden – auch später beim Signieren am Merchtisch. Bereits dieser Auftritt war das Eintrittsgeld komplett wert.

Ein Blick ins mit geschätzt etwa 80 Gästen gefüllte Auditorium kurz nach 20 Uhr machte jedoch eindeutig klar, wessen Stunde hier noch schlagen sollte: Männer, die an der 50 kratzen und darüber hinaus oft mit Shirts bekleidet waren, die Anwesenheit auf der originalen „So Fine“-Tour vor 30 Jahren bezeugen, stellten Waltaridas Gros der Anwesenden und freuten sich über das pünktliche Erscheinen des Quintetts um 20.30 Uhr. Quintett? Die Besetzung von WALTARI wird bei Wikipedia zwar als mehr oder weniger konstant beschrieben, es gibt allerdings ein paar Einschränkungen oder Veränderungen. So war zum Beispiel Gitarrist Sami Yli-Sirniö bei keinem der Gigs, die ich in den letzten 24 Jahren von der Band sehen durfte, körperlich anwesend – was zum großen Teil der Tatsache geschuldet ist, dass Waltaridieser „nebenbei“ ja noch bei KREATOR zockt (deren nächste Tour startet in drei Wochen).

Auf WALTARI’s Homepage blickt einem ein Sextett entgegen, von dem ich im Ponyhof gesichert nur zwei Menschen erkannt habe: den Sänger, Bassisten, Keyboarder und MC Kärtsy Hatakka sowie den Schlagzeuger Ville Vehviläinen, welcher von Kärtsy als dienstältestes Mitglied auf der Bühne vorgestellt wurde. Jan Hölli bearbeitet die Tasten wohl seit 2013 – aber war er es, der neben diesen noch zum Akkordeon wie auch zum Schellenkranz griff? Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es nicht war; habe allerdings keine Ahnung, wie sein Ersatz heißen könnte. Die beiden langhaarigen Axtschwinger jeweils links und rechts waren mit an Sicherheit grenzender WaltariWahrscheinlichkeit Eero Nykänen sowie Jakke Setälä – zwei echte Metalheads, die vor allem bei den Stücken mit Death Metal-Versatzstücken (ein Stilmerkmal, dass bei aller Diversität im WALTARI-Sound schon eines der dominierenden darstellt) komplett am Rad drehten und dabei sich wie die weit betagteren Zeugen vor ihnen regelmäßig zum Ausrasten brachten. Gitarrist und Gründungsmitglied Jariot Lehtinen war absent oder unsichtbar.

Wie erwartet nahm ein großer Teil der Setlist das Album „So Fine“ ein, mit welchem sie vor 30 Jahren in der Frankfurter Batschkapp gastierten und das kommerziell ein Upgrade darstellte zu den Werken vorher, die in weit kleineren Clubs promotet wurden. „The Beginning Song“ startete damals die Platte wie jetzt den Auftritt, gefolgt von Knallern wie dem Titelstück, „Piggy In The Middle“ Waltari(bei dem Kärtsy ans Keyboard wechselte), „Misty Man“, „Celtic Funk“ und weitere. Das Konzept hinter dem Album, offenbarte der im Vergleich zu den Neunzigern weit redseligere wie offenere Kärtsy, ist die Kombination zwischen moderner Technik und Naturschutz – ein Thema, so der Frontmann, „aktueller denn je“. „Also nehmt Eure Laptops und geht damit in den Wald, haha“ lockerte er den ernsten Charakter seiner Themen sofort wieder humoristisch auf.

Zum reinen „So Fine“-Abend wurde das Ganze allerdings doch nicht – „The Stage“ von „Big Bang“ zum Beispiel „…wollt Ihr doch unbedingt hören“ (Kärtsy) – und auch neuere Stücke von „Global Rock“ (2020) gab es vereinzelt. Darüber hinaus ein paar Coverversionen, die sich WALTARI im Laufe der Jahre Waltaridurch innovative Neu-Interpretationen zu Eigen gemacht haben. Vorne weg: Madonna’s „Vogue“ sowie das in der Zugabe dargebrachte „A Forest“ von THE CURE. „Robert Smith ist der Grund, warum ich Kajal auftrage“, erklärte Kärtsy seine besondere Verbundenheit zu Stück und Originalstimme. „Helsinki“ von „Blood Sample“ (2005) wurde zu „Frankfurt“ umgedichtet zu einem Zeitpunkt, als die Stimmung auf wie vor der Bühne bereits am Kochen war während Kärtsy das Publikum besuchte und dabei Handshakes für Alle verteilte. Dass WALTARI solch einen fulminanten wie energetischen 86-minütigen Gig abreißen würden war für mich im Vorfeld nicht zu erwarten gewesen – ohne Studium des „Solstice“-Drehers der Vorband PVRS hätte ich mich wohl gar nicht nach Sachsenhausen aufgemacht, muss ich gestehen. Big Fail indeed, wäre es so gekommen.

Waltari

Wenn man unbedingt etwas zum Meckern sucht, dann höchstens Folgendes: WALTARI’s Stylistik war nicht nur offen, sondern eine Zeit lang wegweisend. Dass sie sich seit einigen Jahren vor allem retrospektiv verhalten und ihr altes Werk verändern, feiern sowie darbieten ist nichts Schlechtes und macht auch WaltariSpaß – einen Innovationspreis gewinnt man so jedoch sicherlich nicht mehr. Kärtsy kündigte allerdings für das kommende Jahr ein neues Album an – neben einer weiteren Jubiläumstour: 30 Jahre „Big Bang“. Ich höre das Teil gerade seit Jahren erstmals wieder und stelle fest: Da freue ich mich drauf. Wurst, wer da als Opener zockt oder ob WALTARI selber, wie im vergangenen Jahr mit PRONG, nur den Opener geben. Pflichttermin.

Links: https://www.instagram.com/pvrs_official/, https://pvrs.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/PVRS, https://www.waltariband.com/, https://www.facebook.com/waltariofficial, https://www.youtube.com/waltariofficial, https://www.last.fm/de/music/Waltari

Text & Fotos: Micha

Alle Bilder:

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Leave a Comment

Filed under 2024, Konzerte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert