Nachtleben, Frankfurt, 9.10.2024
Als „Post-Punk-Hopefuls“ hat sie das Gruft-Magazin Sonic Seducer mal bezeichnet, obwohl die WHISPERING SONS den Begriff angeblich nicht so sehr schätzen. Aber was soll man machen, wenn sich eine klangliche Finesse offenbart, die sich zweifelsfrei ohne den Genuss solcher Vorreiter wie THE CHAMELEONS, THE JESUS & MARY CHAIN und vor allem JOY DIVISION so nicht entwickelt hätte. Entscheidend ist das „Hopeful“. Die Formation aus der Provinz Limburg in Flandern/Belgien hofft vielleicht größer zu werden oder zumindest soviel zu touren und zu musizieren, dass es zum Leben reicht – die Hörenden haben hier jedenfalls die Gewissheit, dem neuen, heißen Scheiß auf den Live-Bühnen zuzusehen, der so amtlich abliefert, dass man es nicht bei einem Gig belassen mag und versucht ist, hinterherzufahren.
Ein Blick in die erste Reihe des Clubs an der Frankfurter Konstablerwache bestätigt diese Vermutung: Da wäre zum Beispiel das Paar aus der Nähe von Koblenz, welches das Quintett erstmals auf dem Kölner Amphi Festival (ein jährliches Open Air-Spektakel, bei dem 2025 Anne Clark oder LORD OF THE LOST headlinen werden) sah und seitdem so viele Konzerte der Band mitnimmt wie eben möglich. Oder das aus dem Odenwald, das zumindest zur Hälfte dem Gig der Belgier in der Kreativfabrik in Wiesbaden beiwohnte und nun dank Hundesitter in der Lage ist, diese Erfahrung zu teilen. Oder der Wave-Fan aus Köln, mit dem ich bereits kurze Schnacks bei zum Beispiel BOY HARSHER (Bericht dazu hier) und ESBEN AND THE WITCH (hier) halten durfte. Einen kürzeren Anfahrtsweg hatte die Lady aus Bad Vilbel, die auf der anderen Seite jedoch weder Kosten noch Mühen scheut, ihre Lieblinge auf der Bühne zu sehen und die WHISPERING SONS bereits vor vollem Haus in Antwerpen bewundern konnte.
Von einem vollen Haus konnte in Frankfurt zunächst nicht die Rede sein, von etwa 100 verkauften Karten war am Eingang zum Einlass noch die Rede. Ein Gesprächsthema („Frankfurt, was stimmt nicht mit Dir??“), welches besagte Protagonisten vor der Bühne zu einer Einheit verschmolz, die noch über die folgenden 70 Minuten des Konzerts Bestand hatte und im Anschluss zu diversen ausgelassenen Gruppen-Selfies führte. Mangels einer Vorband mussten alle Gäste 30 Minuten länger bis zum Beginn der Show warten – ein guter Tausch, wenn man Teil einer solchen Einheit war. Gegen 20.30 Uhr erschienen die vier Männer der Formation, allesamt in existentialistischem Schwarz, aber nicht uniform gekleidet – gefolgt von der Sängerin und Co-Autorin der Songs, Fenne Kuppens, neben einem Mann, der fortan mit verschränktem Arm vor dem Eingang des Backstagebereichs die Performance und das Publikum intensiv beobachtete. Auch diese beiden unterschieden sich in der Wahl der Garderobe farblich nicht von ihren Kollegen.
Das Trio Bert Vliegen (Produzent, Bass sowie ab und an Saxophon), Sander Pelsmaekers (Synthies) sowie Tuur Vandeborne (Schlagzeug) stand in der Vergangenheit noch anders ausgestattet auf den Brettern: Eine Erkrankung der Nerven zwang Pelsmaekers, seinen Platz auf dem Drumhocker aufzugeben und nun lieber Tasten oder Knöpfe zu bedienen. Also übernahm der frühere Bassist Vandeborne diesen, was Soundtüftler Vliegen dazu veranlasste, 2021 kontinuierlich der Band als Bassist beizuwohnen. Der Gitarrist und Co-Autor Kobe Lijnen verblieb an seinem Instrument – unterstützte jedoch am Keyboard, wenn der Song mehr sphärische Untermalung als abgehackte Gitarrenriffs verlangte. Eine Einheit, die sich blind verstand und augenscheinlich mehr verbindet als eine Arbeitsbeziehung, möchte man annehmen.
Und Kuppens? Bei diesem Auftritt, bei dem sie sowohl introvertiert wirkte als auch fordernd auf das Publikum einging und der sich zum allergrößten Teil aus Songs des letzten, dritten Studioalbums „The Great Calm“ speiste (Review dazu hier), zog sie alle Blicke auf sich mit einer Performance, die in puncto Intensität häufig an Nick Cave erinnerte – gleichermaßen an den jungen (mit ihrem selbstvergessenen, in sich gekehrten Habitus) sowie an den älteren, der den Kontakt mit dem Publikum sucht, es von Nahem konfrontiert und einbezieht.
Fast übersah man deswegen die Spielfreude des an der Gitarre hüpfenden sowie unhörbar mitsingenden Lijnen, der ebenso mitreißend agierte wie seine Kollegin. Der einzige fehlende Song von „The Great Calm“ war die betörende Liebserklärung namens „Oceanic“ – ein intimer Moment, der von Kuppens in solch einem Setting vielleicht nicht geteilt werden wollte. Da die Platte allerdings von vorn bis hinten ausschließlich aus starken Nummern besteht und die zwei Vorgängeralben, die mit jeweils drei Stücken bedacht wurden, auch nicht von schlechten Eltern sind, war dies jedoch leicht zu verkraften.
Nach 15 Liedern sowie einer Stunde Spielzeit war erstmal Sense; bei britischen wie amerikanischen Acts kann man inzwischen fast sicher sein, ohne Zugabe entlassen zu werden. Nicht so bei den Belgiern. Kuppens bedankte sich sichtlich gelöst bei den Anwesenden, die den Kellerclub inzwischen recht ansehnlich füllten, und tauchte mit ihnen für eine Zugabe von zwei Songs in das Frühwerk der Band ein. Die angeblich so düstere Post-Punk-Szene aus Zugereisten wie Frankfurtern war kollektiv beglückt und wandte sich anschließend dem üppig bestückten Merchtisch zu, auf dem nicht nur CDs und Vinyl, sondern sogar Tapes angeboten wurden. Die sich frisch gefundene Gemeinschaft aus Fans in der ersten Reihe feierte unterdessen noch ein bisschen weiter und ließ ihre gegenseitige Wertschätzung von den die Bühne abbauenden Technikern fotografisch festhalten. Toller Abend, mega Band.
Links: https://www.whisperingsons.com/, https://www.facebook.com/WhisperingSons/, https://www.instagram.com/whisperingsons/, https://whisperingsons.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Whispering+Sons
Text & Fotos: Micha
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