WIEGEDOOD

Schlachthof, Wiesbaden, 10.09.2019

Wiegedood„WIEGEDOOD? Was ist das denn für ein beschissener Name?“ Man braucht selbst in Unkenntnis der flämischen Sprache nicht viel Fantasie, um WIEGEDOOD korrekt mit dem sogenannten „plötzlichen Kindstod“ zu übersetzen – laut Wikipedia „das unerwartete und nicht erklärliche Versterben eines Säuglings oder Kleinkindes, das zumeist in der (vermuteten) Schlafenszeit des Säuglings auftritt.“ Im Metal geht es viel um Gemetzel, Siechtum oder Tod – oft aus Lust an der Provokation, manchmal aus pubertärer Blödheit, ab und an aus konsequentem Lebenshass. Nichts davon trifft allerdings auf das Trio aus Gent, der zweitgrößten Stadt in Flandern (Belgien), zu.

Schlagzeuger Wim Coppers (ebenso bei OATHBREAKER sowie WHITE JAZZ), Gitarrist Gilles Demolder (Bassist bei den gegenwärtig inaktiven HESSIAN, Gitarrist von OATHBREAKER) sowie Gitarrist und Sänger Levy WiegedoodSeynaeve (Bassist von AMENRA, Gitarrist von HESSIAN, Live-Bassist von OATHBREAKER) fanden 2014 als WIEGEDOOD zusammen, um Florent Pévee zu ehren, der mit Coppers bei THE ROTT CHILDS spielte und im jungen Alter verstarb.

Ihre gesamte Platten-Trilogie „De Doden Hebben Het Goed“ ist inspiriert von diesem Ableben und bildet einen inhaltlichen, konzeptionellen wie musikalischen Rahmen, der 2019 „einmalig“ (Facebook) komplett aufgeführt wird. Jede Scheibe dauert etwas länger als eine halbe Stunde und vereinigt vier Tracks – der Stimmungsbogen geht dabei von kaskadisch geprägtem Black Metal über nordische Wurzelbehandlung bis zu offeneren sowie experimentelleren Sounds inklusive Obertongesang. Alles ohne Bass.

WiegedoodWIEGEDOOD ist, im Gegensatz zu den anderen erwähnten Formationen der Church of Ra (mehr dazu in der AMENRA-Review hier), trotzdem pures Black Metal-Gemetzel ohne Sound-Ausreißer in Richtung Sludge, Doom oder Crust. Außerdem ohne Farbtopf, ohne Satanismus und ohne geschäftliche Beziehungen zu den neuerdings so zahlreich erscheinenden „besorgten Bürgern“ oder Gutmenschen-Bashern im Black Metal. „Trve“ genug allerdings auch, um nicht wie die am Monatsende ebenfalls im Wiesbadener Schlachthof auftretenden DEAFHEAVEN als „Hipster-Metal“ verunglimpft zu werden.

Die Musiker begreifen ihre Trilogie als Einheit, ihre Komplettaufführung als Ende eines Kapitels. Was die Zukunft bringt für WIEGEDOOD, die seit dem dritten Teil ihres Werks beim Branchenriesen Century Media untergekommen sind, ist noch offen – laut Seynaeve jedoch „haben (wir) noch ein paar Alben in uns“ (Metal Hammer).

WiegedoodIm Schlachthof wollten das genug Menschen erleben, um das Kesselhaus ansprechend zu füllen – Platz zum Getränke holen gab es jedoch auch. Optimale Voraussetzungen also für einen gelungenen Konzertabend, der um 20.15 Uhr mit einem Intro begonnen wurde, nachdem vorher schon ambient-artige Klänge die Ruhe vor dem Sturm illustrierten. setlist.fm muss in diesem Fall niemand bemühen – es wurden alle Wiegedoodzwölf Stücke der drei Alben in exakt der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung gespielt, getrennt durch jeweils einen ruhigen Verschnaufer, bevor es zum nächsten Werk ging.

Was Seynaeve sich dort zusammenschrie, während er gleichzeitig seine Gitarre bearbeitete, war hochgradig respektabel – spürte man doch ständig die dargebrachte Verzweiflung und Frustration, die laut Rock Hard jedoch keine Katharsis beinhaltet. Nicht für die Künstler vielleicht – für die Zuhörer allerdings schon, welche gleichermaßen fasziniert gen Bühne starrten oder sich die Nacken wund schlugen. Applaus gab es dafür nur sporadisch und an einigen Stellen, der dann jedoch umso frenetischer ausfiel. Lähmung durch Faszination, Wiegedoodnicht jeder Musikant kommt mit dieser Art von Publikumsreaktion klar. WIEGEDOOD aber schon, die spielten in erster Linie sowieso nur für sich selbst. Und hinterließen, wie Pete Woods für Ave Noctum nach dem London-Gig schrieb, eine „jaw-dropping experience“.

Nach 110 Minuten war dann Schicht im Schacht. Alles wurde gespielt, zum großen Teil schneller als auf den Platten. Niemand vermisste eine Vorband. Keiner beschwerte sich über das Showende um kurz nach 22 Uhr. Katharsisch geläutert zog man von dannen in der Hoffnung, dass WIEGEDOOD ebenso auf die eine oder andere Art einen befreienden Abend hatten.

WiegedoodDer Schmerz und der Umgang mit diesem: Er fällt bei der Church of Ra eben ein wenig anders aus als bei anderen Vertretern der Zunft. Was uns zum Bandnamen zurückbringt, der nicht nur werdenden Eltern aufstoßen kann: „Der Name steht dafür, machtlos gegen die Karten zu sein, die man im Spiel des Lebens zieht. Dinge in die Hand nehmen zu müssen, die einen dazu bringen können, das Leben selbst anzuzweifeln und trotzdem weiterzumachen.“ (Seynaeve im Deaf Forever). Muss halt.

Links: https://www.wiegedood.com/, https://www.facebook.com/wiegedood/, https://wiegedood.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Wiegedood

Text & Fotos: Micha
Clip: am Konzertabend aufgenommen von Dirk K.

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