WILD BOAR WARS #4 – Tag 1 POISÖNED SPEED, URZA, OPHIS, DEATHRITE, DESASTER

Das Bett, Frankfurt, 10.12.2022

DesasterBis zuletzt war nicht klar, ob das Team des Taunus Metal e.V., welches die Wild Boar Wars seit 2018 an verschiedenen Orten durchführt, die Veranstaltung auf die Kette kriegen würde – ein mieser Vorverkauf ließ die gesamte Chose wackeln. Endkunden, die sich den eventuellen Stress ersparen wollen, Karten für ein ausgefallenes Konzert retournieren zu müssen, sorgen mit ihrer Vorsicht dafür, dass dieses gar nicht stattfinden kann. Eine herbe Crux, die das Geschäft seit Beginn der Pandemie für keinen Beteiligten einfacher macht. Diese vierte Edition, nach Konzerten im Jazzkeller Hofheim, im Café Portstraße in Oberursel sowie im Corona-Sommer 2021 auf dem Parkplatz am Frankfurter Club „Das Bett“ (Bericht dazu hier), wartete mit einem Billing auf, welches gleichermaßen von alten Bekannten der Organisatoren geprägt wurde sowie Highlights, die man nicht nur in Rhein/Main selten zu Gesicht bekommt. Abgedeckt wurden alle Genres, die etwas extremer klingen als traditioneller Hardrock/Metal und damit ebenso extremer als das Gros der Formationen, die das Stammfestival Taunus Metal in Oberursel bespielt. Für mich war dies nicht nur der erste Besuch der Wild Boar Wars, sondern generell der einer Veranstaltung des Taunus Metal e.V. – was an der Tatsache liegt, dass ich lieber unter der Woche auf Konzerte gehe und das Wochenende gern zum Akku-Aufladen nutze. Es müssen schon ein paar krasse Knaller aus meiner persönlichen Fave-Liste antreten, um an diesem Umstand etwas zu ändern.

Zumindest der Sonntag war voll von solchen Knallern. Dass ULTHA aus Köln gegenwärtig eine meiner Lieblingsbands ist, habe ich in diesem Blog bisher nicht verschwiegen – in meinem Hometurf durfte ich sie bisher noch nie live erleben. Exzellenter Black Metal aus den Niederlanden (TERZIJ DE HORDE) sowie Wild Boar Wars 2022 FlyerBelgien (ALKERDEEL) taten ein Übriges, um ein Ticket zu ordern – ebenso wie der Aufruf der Veranstaltenden (zum Beispiel im Forum des Deaf Forever) nicht auf die Abendkasse zu warten, da das Festival ohne finanzielle Planungssicherheit stark gefährdet sei. 150 vorverkaufte Karten schlugen am Samstag schließlich zu Buche, für den Sonntag wurden noch ein paar Tickets weniger abgesetzt. Pressevertreter von Rock Hard, Deaf Forever oder ähnlichen Organen waren abstinent, was uns Blogger mal wieder zu Perlentauchern macht. Vom Samstags-Billing kannte ich meist eher den Ruf der Formationen als ihre Musik – mit Ausnahme der von mir sehr geschätzten Doomster OPHIS sowie der Abrissbirne DEATHRITE, die ich 2013 schon live erleben konnte. Dass es für mich bei einer Samstags-Visite bleiben würde, war mein persönliches Pech und im Vorfeld nicht abzusehen.

Poisöned SpeedUnabhängig davon war der erste Tag auch schon ein Fest, das mit POISÖNED SPEED begann. Eine Formation, die Kollege Marcus im vergangenen Jahr schon treffend hier  beschrieb und die mir als

Poisöned Speed

Fan von MOTÖRHEAD oder VENOM schon mal mächtig Spaß bereitete. „Poisöned Speed – that’s all you need“ machte das Trio um den Bassisten und Sänger Tobster (der im Studio auch die Gitarre einspielt) sowie Schlagzeuger Fredneck im gleichnamigen Stück nach 30 Minuten klar. Innerhalb dieser Zeitspanne wurden die Anwesenden von einem fett motivierten Trio bedient, bei dem vor allem die gemeinsamen Saiten-Eskalationen mit dem Live-Gitarristen Chris Del Math überzeugten. Dieser Poisöned Speedwar vielleicht sogar die motivierteste Gestalt des gesamten Festivals: Nicht nur wurde sein krass schnelles Riffing mit diversen Verrenkungen kredenzt, die ihren Ursprung im Gitarre-auf-dem-Rücken-Spiel von Jimi Hendrix haben mögen. Im späteren Verlauf des Konzertsabends fiel er außerdem etwas weniger sympathisch durch einen Körpereinsatz auf, der ihn ohne Weiteres für einen Rauswurf prädestinierte. Dazu später mehr.

UrzaErstmal wurden mehrere Gänge zurückgeschaltet, als das Berliner Quintett URZA die Bühne betrat.

Urza

Funeral Doom ist nach dem eben erlebten Punk’n’Roll ein komplett anderer Planet – allerdings nicht minder geil, vor allem live. URZAs bisher einziger Longplayer definiert mit dem Titel „The Omnipresence Of Loss“ (2019) eigentlich das Genre ziemlich perfekt – von dem wurde, laut setlist.fm, jedoch zwischen 19.08 und 19.53 Uhr nichts gegeben. Stattdessen drei neue UrzaStücke, die zwischen dem leicht esoterisch wie sakral anmutenden, tiefen SloMo-Rock immer mal wieder eskalierende Material-Schlachten integrierten. Gitarrist Olli Schreyer trug sein DEICIDE-Shirt nicht zum Spaß. Meistens jedoch nickten die Herren tieftönend im Nebel, während Vokalist Thomas andächtig wie guttural die Messe las und Handzeichen versendete, die vielleicht eine Bedeutung haben, die ich nicht verstand. URZA waren unter dem Strich für mich, der ich die Band an diesem Abend zum ersten Mal hörte, eine Entdeckung. „The Omnipresence Of Loss“ verschönert mir seitdem die Winternächte. Nie beschrieb ein Albumtitel passender private wie gesellschaftliche Gegenwart – danke dafür.

OphisWeiter ging es mit weniger Stilbruch – OPHIS aus Hamburg traten kürzlich noch auf meinem Zweitlieblingsfestival Hammer Of Doom auf, ebenso wie FVNERAL FVKK, die sich mit OPHIS Stimme, Bass sowie eine (von zwei) Gitarren teilen.

Ophis

Beim Doom von OPHIS fehlen die Vorsilben „Funeral“, was bedeutet, dass das Tempo moderat angezogen wurde. Gitarrist, Vokalist sowie Bandgründer Philipp Kruppa röhrt in den gleichen Tiefen wie Kollege Thomas vorher, hatte für bedeutungsschwangere Gestik jedoch keine Zeit, weil er ja dazu Gitarre spielen muss. In die OPHIS zur Verfügung stehenden Dreiviertelstunde wurden vier Songs gepackt. Sehr selbstironisch dabei die Ansage Kruppas vor dem Ophisfinalen Stück „The Stagnant Room“ vom 2021er Geniestreich „Spew Forth Odium“: „Jetzt kommt unser letzter Song. Wir spielen also noch etwa 15 Minuten.“ Erklärungen zum Inhalt der Stücke vorher klappten eher semi: Als Kruppa über die Menschen als „Abbild Gottes“ philosophierte und die Diskrepanz damit in Verbindung setzte, dass wir Menschen uns „kein Bild machen dürfen von Gott“, wurden seine Erörterungen nicht von allen mit Aufmerksamkeit bedacht, was ihn dünnhäutig reagieren ließ. „Hast Du mir überhaupt zugehört?“ echauffierte er sich kurz in Richtung Publikum, um dem ausgemachten Ignoranten dann umgehend den nächsten Song zu widmen. Derweil stank es aus dem Backstage-Bereich nach Grillfleisch. An der zweiten Gitarre brillierte Floris of TODTGELICHTER-Fame. Ein runder, mehr als überzeugender Auftritt, bei dem die Kollegen von der vorher performenden Formation andächtig im Saale mitwippten.

Schluss mit Andacht, jetzt kam DEATHRITE. Death Metal-Punk nennt der Fünfer selber seine Töne, dem man eine gewisse Schwärze in Klang wie Themenwahl jedoch keinesfalls absprechen kann. Ich war (wie bei Death Metal inzwischen ganz allgemein) im Vorfeld am allerwenigsten an diesem DeathriteAuftritt interessiert – an einem längeren Festivaltag wäre das wohl meine Essens-Band

Deathrite

geworden. Zum Glück war es keiner. Wie bereits 2013 holten mich die Sachsen amtlich ab, dieser entfachten Energie kann man sich als Freund harter sowie schnell gespielter Töne nicht entziehen – bei einem jüngeren Publikum wäre wahrscheinlich im Pit die Hölle los gewesen. Zumindest einer arbeitete darauf hin, nämlich mutmaßlich (am End‘ war es nur jemand, der Deathriteihm ähnlich sah, ich vermute jedoch eher nicht) der bereits erwähnte Chris Del Math von POISÖNED SPEED. Stagediving ging noch halbwegs gut, wobei abgestellte Getränke beim Entern der Bühne flugs gesichert werden mussten. Als der Herr jedoch anfing, die zweite und dritte Reihe im Raum komplett umzupflügen – völlig egal, wie viele Menschen dabei zu Fall kamen – brachte ihm das keine Bonuspunkte ein, ganz im Gegenteil. Jemand ohne VIP-Bändchen wäre dafür wohl rausgeworfen worden. Sorglose Ignoranz verbunden mit zu viel Testosteron und einer Prise Selbstverliebtheit ist eine ungute Mischung. Wer darüber hinaus noch solch eine beeindruckende Physis sowie Kondition aufzuweisen hat, sollte nachsitzen und Spiderman lesen: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“. Die Props vom Auftritt vorher gingen so ratzfatz flöten. Schade eigentlich.

DesasterÜber die musikalische Klasse von DEATHRITEs 40-minütigem Abriss kann es dagegen keine zwei Meinungen geben. Ob sich die noch folgende Old-School-Legende davon beeindrucken ließ?

Desaster

Wenn, dann höchstens als ein Motivationsschub. DESASTER aus Koblenz sind nun auch schon eine Weile im Geschäft (1988 -1990, ab 1992) und teilen sich ihren Namen mit weiteren Formationen, ebenso aus dem deutschen Raum, die zum Teil ebenfalls Thrash Metal spielen. Allerdings haben diese DESASTER noch einen Riesentacken Extra-Schwärze im Angebot, ähnlich der Kollegen von SODOM, die damit früher am Start waren und deren Reputation deswegen ein bisschen größer sein mag. Optisch eindeutig Desasterverdeutlicht durch den Bassisten Volker „Odin“ Moritz, der seit 1993 unterstützt. Bandgründer, Gitarrist und Rampensau Markus „Infernal“ Kuschke verkörpert dagegen den ständig mit dem Publikum interagierenden Thrasher, der das Gegenteil eines Rockstars ausstrahlt und den Spaß am eigenen Auftritt mit den Fans teilt wie multipliziert. Sänger Guido „Sataniac“ Wissmann dagegen macht keine Gefangenen mit seinem kompromisslosen Organ, welches Desastergenauso wenig Widerspruch duldet wie seine gesamte Präsenz. Drummer Marco „Hont“ Hontheim treibt das Ganze seit 2018 wie Artilleriefeuer nach vorne. „Wenn es eine Band im deutschen Black- und Thrash-Underground gibt, die in puncto Haltung, Begeisterungsfähigkeit und Authentizität über allen anderen thront, dann sind es DESASTER.“ analysiert Deaf Forever-Boss Götz Kühnemund treffend in seiner Titelstory zum Erscheinen des neunten DESASTER-Albums „Churches Without Saints“ 2021. DESASTER live zu erleben ist keine Selbstverständlichkeit – dazu sind die Mitglieder zu sehr in ihrem Berufs- und/oder Familienleben eingebunden, um flächendeckend auf Tour zu gehen. Ihr Auftritt auf diesem Festival war so gesehen ein Geschenk, das Desasterdankbar von den Anwesenden angenommen wurde. „Habt Ihr überhaupt Bock?“ fragte Sataniac ebenso rhetorisch wie entspannt, „Sollen wir anfangen oder noch eine rauchen gehen?“. Von 22.40 Uhr bis nach Mitternacht war es das dann mit Entspannung – bei Songs wie „Angelwhore“ oder „Satan’s Soldiers Syndicate“ war pure Eskalation angesagt, inklusive von der Bühne springender Musikanten (diesmal zeigten DEATHRITE Respekt, allerdings ohne alles dabei zu plätten). DesasterDieser erste Tag der Wild Boar Wars, er stieß nochmal in die höchsten Regionen der Jahreshighlights vor. Im Normalfall erscheint das kaum zu toppen, jedoch nicht bei dem Billing des nächsten Tages. Den ich leider krankheitsbedingt ausfallen lassen musste. Ich heule derweil leise vor mich hin und hoffe auf eine ähnliche Axt im kommenden Jahr.

Links: https://www.taunus-metal.de/, https://www.facebook.com/poisonedspeed, https://poisonedspeed.bandcamp.com/, https://www.facebook.com/UrzaDoom/, https://urza-doom.bandcamp.com/, https://www.facebook.com/OphisDoom, https://ophis.bandcamp.com/, https://www.facebook.com/deathrite666, https://deathrite.bandcamp.com/, http://www.total-desaster.com/, https://www.facebook.com/666Desaster666/, https://desaster.bandcamp.com/

Text & Fotos: Micha

Alle Bilder:

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Kommentare deaktiviert für WILD BOAR WARS #4 – Tag 1 POISÖNED SPEED, URZA, OPHIS, DEATHRITE, DESASTER

Filed under 2022, Konzerte

Comments are closed.