Immerhin, Würzburg, 5.04.2019
Die Posthalle in Würzburg ist für Musikfreunde aus dem Frankfurter Raum eine in knapp einer Stunde (wenn es mit der Bahn gut läuft oder die Straßen frei sind) zu erreichende Spielstätte, in der unter anderem Kultfestivals wie das Hammer Of Doom oder das Metal Assault regelmäßig stattfinden. SUBWAY TO SALLY laden dort zu den „Eisheiligen Nächten“, MACHINE HEAD gastieren im Oktober. Vermutlich noch kompatibler für die Leser*innen dieses Blogs ist der Club „Immerhin“ im Keller der Halle mit einem gemütlichen Kneipenraum und einer angrenzender Konzertstätte – klein und kompakt, jedoch mit bemerkenswertem Live-Programm. Viele Musizierende, die in Frankfurt im Dreikönigskeller oder in der Au auftreten würden findet man hier, inhaltliche Überschneidungen gibt es auch mit dem Schlachthof (Kesselhaus) oder der Kreativfabrik in Wiesbaden.
YOUNG WIDOWS aus Louisville/Kentucky, existent seit 2006 und gerade unterwegs durch Europa, um letztlich beim Roadburn Festival im niederländischen Tilburg zu landen, taten ihren Fans im Rhein/Main-Gebiet leider nicht den Gefallen in Frankfurt oder Wiesbaden zu gastieren – also ab nach Würzburg, und das auch gleich für zwei Tage. Der letzte Zug nach Frankfurt fährt nämlich gegen 23 Uhr von dort ab – doch um diese Zeit betrat das US-amerikanische Trio gerade mal die kleine, kaum erhöhte Bühne. Macht nichts, Würzburg hat auch am Tag einiges zu bieten. Und in einem Laden, in dem die Flasche Hefeweizen gerade mal zwei Euro kostet, hält man sich ohnehin gern noch etwas länger auf.
Die YOUNG WIDOWS wären mir ohne Emma Ruth Rundle, die auch schon mehrfach in diesem Blog vorkam, kein Begriff gewesen. In deren Band spielt ihr Gatte Evan Patterson, Bruder des FOTOCRIME-Künstlers Ryan Patterson, der ebenfalls gegenwärtig auf Tour ist (Bericht hier). Evan Patterson steht auch JAYE JAYLE vor, die Rundle als Vorprogramm auf deren letzter Tour begleiteten und deren Personal zum Teil als Liveband Rundles fungiert. Auf dem diesjährigen Roadburn Festival erscheint Patterson mit allen drei Formationen: Beim exklusiven Europa-Konzert seiner Gattin, mit den nach dem Festival durch Europa tourenden JAYE JAYLE und mit den, dieses vorher absolvierenden, YOUNG WIDOWS. Deren Bassist Nick Thieneman bedient oder bediente wiederum auch sein Instrument bei FOTOCRIME. Gelegenheit genug für gegenseitige Besuche auf dem Roadburn gibt es also zuhauf.
Die YOUNG WIDOWS entstanden aus der Asche von BREATHER RESIST – einer HC-Formation, die exakt aus der Urbesetzung der YOUNG WIDOWS bestand, plus dem Sänger Steve Sidoni. Als dieser das Quartett verließ änderte sich (laut Wikipedia) der Sound der Band, weswegen der Namenswechsel vollzogen wurde. Eigentlich änderte sich der YOUNG WIDOWS-Sound weiterhin – man hört ihren Alben einen stetigen Wandel an, ein konstantes Wachstum und Einflüsse anderer Richtungen als HC-Punk. Das macht die Combo wohl zum Post-HC, wie einige schreiben. Aber auch der psychedelische Americana-Sound von JAYE JAYLE wird immer spürbarer, forstet man die Diskografie der YOUNG WIDOWS chronologisch durch. Mit ihrem eigenständigen Geboller schafften sie es auf diverse Veranstaltungen unterschiedlicher Lärmfetischisten wie OBITUARY, HELMS ALEE, KHEMMIS oder BELZEBONG. Das Bühnchen im „Immerhin“ teilten sie gestern mit einer Neo-Krautrockband: ZEMENT aus Würzburg. Und die sorgten für mindestens ebensoviel Anwesende wie der Headliner.
ZEMENT bestehen aus Christian und Philipp – ein Schlagzeuger sowie ein Saiten- und Elektronikfrickler. Bei Bandcamp und Soundcloud kann man sich ihre Veröffentlichungen anhören, bei Spotify nicht. „So schön wie besoffen NEU! hören“ charakterisieren sie ihren Klang selbst auf ihrer Facebook-Seite – „besoffen“ werden konnte man auch ohne Alkohol bei den ausufernden Jams, die das Duo feilbot. Drei oder vier Stücke in einer knappen Dreiviertelstunde. Ohne Zwischenapplaus, da das Ganze zusammenhängend geschah, äußerst dynamisch sowie zunehmend schweißtreibend. Viele der Würzburger Fans, die das zu Recht abfeierten, hatten überhaupt keine Ahnung wer nach den Lokalhelden später noch auftreten sollte – ZEMENT war ihnen Grund genug zum Erscheinen. Im Sommer treten die beiden Musiker übrigens auf der Mentalstage des Burg Herzberg Festivals auf. Passt.
Nach zehn Jahren dann mal wieder YOUNG WIDOWS in Europa, welche auf dem Roadburn „Old Wounds“ von 2008 in seiner Gänze spielen werden. Bei den Gigs vorher wird etwas gemixt – Schwerpunkt im knapp einstündigen Vortrag jedoch war besagtes Album (mit fünf Nummern), gefolgt von „In And Out Of Youth And Lightness“ (2011, vier Stücke) sowie von „Easy Pain“ (2014, drei). Nach 2014 erschien kein Studio-Album mehr, die Akteure wandten sich neuen Aufgaben zu, ohne YOUNG WIDOWS jemals aufzulösen. Nach dem trippigem Vorspiel war der Auftritt eine Axt – auch hier spielten die Akteure sich und die Gäste in einen Rausch, aber derber und selten länger als fünf Minuten pro Stück.
Auf die Bühnenbeleuchtung wurde dankend (zum Unverständnis des lokalen Lichtmeisters) verzichtet – gelbe Minimalbeleuchtung unten vom Ständer des Mikrofons sollte reichen, je nach eruptiver Heftigkeit zwischen gleißend und kaum vorhanden. Ein Träumchen für Fotografen. Den Angaben des Veranstalters Mamü (Bassist von GEEZERS) zufolge kamen so einige der Anwesenden von außerhalb – zum Teil tauschten die Auswärtigen ihre Plätze mit den Fans des lokalen Openers. Trotzdem ging der Enthusiasmus der meisten Besucher nicht so weit, das Trio zwischen den Songs mit Beifall zu überschütten – auch nicht, als es nach 55 Minuten das Podest verließ. Einige Wenige mussten daher umso mehr Krach schlagen, um noch ein finales „Swamped And Agitated“ zu ergattern. Bei zwei Euro pro Bier funktionierte das anscheinend nicht mehr so gut. Egal.
Da das Ganze exakt am 25. Todestag von Kurt Cobain stattfand und YOUNG WIDOWS nicht nur „Smells Like Teen Spirit“ von NIRVANA aufnahmen, rechnete ich mit einer kleinen Verbeugung gen Seattle, die jedoch ausblieb. Auch die Ansprachen hielten sich in Grenzen – Evan Patterson kam jedoch nicht umhin, seine Eindrücke von diesem „postapokalyptischen Bau“ zu teilen, welcher in der Tat durch seine weiten Verästelungen sowie seinem runtergekommenen Charme eine sehr spezielle Atmosphäre bietet. Eine Atmosphäre, die wie das gesamte Gemäuer bedroht ist, weswegen sich eine Initiative gebildet hat, um den bevorstehenden Abriss der Posthalle zu verhindern (mehr dazu hier).
Unterstützt die Petition, besucht mal das „Immerhin“ oder das Hammer Of Doom ein Stockwerk höher. Lohnt sich. Und hört mehr Musik aus Louisville, verdammt kreativer Fleck da, anscheinend. Wir tun das auch, demnächst in Berlin. Stay tuned.
Links: http://www.z3m3nt.de/, https://www.facebook.com/Z3M3NT/, https://zement.bandcamp.com/, https://soundcloud.com/z3m3nt, https://www.last.fm/music/zement, http://young-widows.blogspot.com/, https://www.facebook.com/youngwidowsband/, https://www.instagram.com/youngwidowsband/, https://youngwidows.bandcamp.com/, https://www.reverbnation.com/youngwidows, https://www.last.fm/music/Young+Widows
Text, Fotos (11) & Clips: Micha / Fotos (4): Nicole
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