Schlachthof, Wiesbaden, 21.03.2016
Das Programm des Kesselhauses auf dem Gelände des Schlachthofs in Wiesbaden stand gestern ganz im Zeichen des Hardcore: Mit YUPPICIDE und ihrem charismatischen Frontmann Jesse KFW Jones (rechts) hatte sich eine der bekanntesten Formationen des Genres von der US-amerikanischen Ostküste angekündigt. Wir hatten die Band zuletzt im September 2012 in Weinheim gesehen (Bericht hier), im März ist sie nun mit ihrer aktuellen Scheibe unterwegs durch Deutschland, Tschechien, Italien und die Schweiz.
Bevor YUPPICIDE die Bühne betreten durften, bekamen wir es noch mit dem Support HUMAN TOUCH zu tun. Dabei handelt es sich um ein mir bisher unbekanntes Quintett aus Karlsruhe, das sich einem Crossover aus Hard- und Metalcore verschrieben hat. Ende 2015 erblickte der erste Longplayer „Mental Chill“ das Licht der Welt, die 4-Track-EP „True Justice“ stammt von Mitte 2014. Große Brüder im Geiste und aller Wahrscheinlichkeit nach Vorbilder sind Bands wie RAGE AGAINST THE MACHINE, HATEBREED und wie sie alle heißen, mit ihren Brutalo-Riffs. In den melodiöseren Sequenzen hörte ich ein bisschen LINKIN PARK heraus, Anklänge an PRO-PAIN (lief wohl nicht ganz zufällig am Rande der Show vom Tape) sind ebenso vorhanden und in anderen Reviews wird gern eine Verbindung zu MADBALL hergestellt, was natürlich auch richtig ist. Ich weiß nicht, ob der Fünfer schon vor so vielen Menschen, sprich einem ansehnlich gefüllten Kesselhaus, gespielt hat, und fand, dass er sich gut verkaufte. Musikalisch absolut in Ordnung und gefällig obendrein.
Was allerdings störte: Zuviel Texterei zwischen den Songs. Wer Leute abholen und sogar zum Tanzen bringen will, sollte die Pausen kurz halten und nicht jeden Bewegungsdrang, der sich da aufbauen könnte, durch Gerede im Keim ersticken. Sicher ist es gut und wichtig, eine politisch korrekte Haltung zu zeigen, aber im Nachgang der Landtagswahlen gefühlt endlos über die AfD und deren schwachmatige Wähler zu zetern ist, was die Stimmung betrifft, eher kontraproduktiv. Auch zu erzählen, dass man zwar 45 Minuten Zeit für den Auftritt, aber nur 25 Minuten Programm habe (und sei es als Scherz), wäre ein schönes Beispiel für die beliebte Ox-Kolumne „Deadly Sins“. Und sich gleich mehrfach mit den Worten „Danke, Wiesbaden!“ für den Applaus zu bedanken, fand ich dann doch eine Nummer zu großspurig. Ändert aber nichts daran, dass die Jungs insgesamt sympathisch rüberkamen und als Opener einen guten Job machten.
Dann: Die großen YUPPICIDE mit Jesse KFW Jones. Ein langer, volltätowierter Schlaks, der als ständiger Unruheherd mit tänzelnden Schritten, gekonnten Sprüngen und skurrilen Bewegungen (ich habe immer Angst, dass er sich mal die Schulter auskugelt) auf der Bühne unterwegs ist. Mir macht es Spaß, Frontmännern wie diesen zuzusehen, die in dem Moment, da Showtime angesagt ist, ihr erstes Ich abstreifen und mit dem zweiten in eine andere Welt eintauchen. Jesse kam diesmal mit unbemaltem Gesicht aufs Podest, zeigte aber seine Vorliebe für Masken aller Art, diesmal trug er während des Auftritts nicht weniger als vier verschiedene. Und
so er keine aufhatte, konnte man seine weit aufgerissenen Augen sehen. Augen, die anzuzeigen schienen: „Hallo, ich bin hier oben, ich bin genau in meinem Element, ich lebe für diese Musik und wenn Du jetzt nicht mitziehst, dann fresse ich Dich mit Haut und Haar“. Klingt gefährlich, war gefährlich (zumindest bei den schnelleren Nummern im Pit, Apfelwein- und Bierdusche inbegriffen) und diese Mimik passt zum Hardcore der 1988 gegründeten Combo wie die berühmte Faust aufs Auge.
Das Quartett, neben dem Briten Jones bestehend aus den US-Amerikanern Steve Karp (Gitarre), Joe Keefe (Bass) und Jay Rogan (Schlagzeug), promotet auf der gegenwärtig laufenden „Revenge Regret Repeat“- Tour das gleichnamige Album, das mit Einheizern wie „Obsolete“, „Destroyer“ oder „Bad Blood“ gesegnet ist. Zehn der elf Stücke der Scheibe fanden sich in der Setlist wieder; auch die 6-Track-EP „American Oblivion“ von 2012 war u. a mit dem famosen Titelsong gut vertreten. Aus der Frühphase der Combo aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn gab’s Stücke wie „Envy“ als Opener und „Be a Man“ (beide 1990) sowie „True Love“, „All for Nothing“ und „Dr. Extermination“ (alle 1992). Da die
Truppe, auch aufgrund eines zwischenzeitlichen Splits, von 1995 bis 2012 kein Studioalbum herausgebracht hat, sprang man in der Setlist also schön zwischen ganz altem und sehr neuem Material hin und her und das funktionierte richtig gut. Und bei 28 Songs (ohne Zugaben) kann man auch nicht sagen, dass sich die Band irgendwie geschont hätte. YUPPICIDE sind live immer noch äußerst sehenswert, ihre Platten sind sowieso über jeden Zweifel erhaben.
Das einzige, was am gestrigen Konzertabend mies war, war der Sound. Und das war nicht nur mein persönliches Empfinden, sondern zahlreiche, über den ganzen Saal verteilt stehende Bekannte, äußerten diese Meinung. Den Gitarristen hörte man fast gar nicht (außer er spielte alleine) und ein lautes, sonores Brummen zwischen den Songs bekam man auch nicht in den Griff. Da habe ich in fast jedem Juze einen besseren Sound erlebt. Ganz abgesehen davon, dass man von einem professionell geführten Laden bei einem Konzert der Preisklasse von etwa 20 Euro auch erwarten darf, dass der Klang einwandfrei ist. Sei’s drum, ich weiß auch, dass das im Kesselhaus in der Regel besser klappt.
Nach der Show unterhielten wir uns am Rande des Merchtischs und der Bar noch eine Weile mit den Jungs von YUPPICIDE und stellten fest, dass es sich dabei um sehr umgängliche, nette Zeitgenossen handelt. Und dass die Gespräche für die Band kein obligatorisches Pflichtprogramm darstellten, mag man schon daraus ersehen, dass sie uns aus eigenen Stücken noch zum Bier einluden (und Nein, sie wussten nicht, dass wir etwas über ihren Auftritt schreiben würden). So lernte man das erste Ich von Jesse und seinen Mitstreitern abseits des Rampenlichts kennen – auch das eine sehr angenehme Erfahrung.
Setlist (ohne Gewähr): Envy – All For Nothing – American Oblivion – Spread the Infection – Fuse – King of the Dicks – Be a Man – Bad Blood – Dead Inside – True Love – Destroyer – Too Late – Dr. Extermination – Not With You – Nice Guys Finish Last – Obsolete – Hurts to Know – Yellow Journalism – Insolence – Ghosts – Socialization – Albatross – Sabotage – There’s a Line – You’re Gonna Get It In – Meatpacker – Fistfull of Creditcards – Follow the Leader
Links: https://www.facebook.com/humantouchhc/, https://www.instagram.com/humantouchhc/, http://humantouchhc.bandcamp.com/, http://www.yuppicide.net/, https://www.facebook.com/yuppicide/, http://www.myspace.com/yuppicide, https://yuppicide.bandcamp.com/, http://www.reverbnation.com/yuppicide, http://www.last.fm/de/music/Yuppicide
Text: Stefan / Fotos: Marcus
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