Mousonturm, Frankfurt, 25.11.2017
Kurz bevor der Frankfurter Sinkkasten sein Konzept änderte und den alten Namen „Zoom“ wieder annahm, gab der Auftritt der US-Amerikanerin Nika Roza Danilova, besser bekannt als ZOLA JESUS, einen Vorgeschmack auf die Events, die zukünftig in diesen Räumen zu erleben sein sollten: Weniger Blues und mehr zeitgemäße Musik, könnte man vereinfacht sagen. Es war im November 2011, das Album „Conatus“ wurde beworben. ZOLA JESUS ganz in Weiß – die Haare, das Outfit. Das Licht im Club war noch auf Sinkkasten-Niveau und der Laden weit davon entfernt, ausverkauft zu sein. Trotzdem beeindruckte das kleine Wesen mit unglaublicher Kraft und Ausdruck, mit Sounds zwischen Gothic, Industrial und Singer/Songwritertum, sowie mit einer Stimme zum Niederknien. Kurz war der Gig, kaum mehr als eine Stunde – eine Stunde jedoch, die mich alle Platten aufkaufen ließ und noch lange nachhallte.
ZOLA JESUS, von der oft geschrieben wurde, dass sie eine „ausgebildete Opernsängerin“ sei (allerdings häufig mit dem Zusatz versehen, dass sie sich das selber beibrachte, wie auch immer das funktionieren mag) war danach zwar
nicht mehr im Rhein/Main-Gebiet (soweit ich weiß), aber nicht untätig. Neben einem Gastbeitrag für ORBITAL absolvierte sie einen Auftritt im New Yorker Guggenheim-Museum mit umarrangierten, akustischen Versionen ihrer sonst elektronischen Songs, zusammen mit JG Thirlwell (aka FOETUS), die in das Album „Versions“ mündeten (2013). 2014 erschien das etwas poppigere „Taiga“, mehr Trip Hop als Witch House oder mehr Florence (von FLORENCE AND THE MACHINES) als Siouxsie Sioux (von SIOUXSIE AND THE BANSHEES). Was keinen Qualitätsabfall bedeutet. 2017 kam dann „Okovi“, dessen Bühnen-Umsetzung im Frankfurter Mousonturm stattfand. Sah anfangs trotz Samstag nach einem
recht schlecht besuchten Event aus, nur die ersten Reihen standen rasch dicht. „Okovi“ knallt weitaus mehr als das Vorgänger-Album, hat eine starke Industrial-Kante und mit „Exhumed“ ein Riff-Feuerwerk (auf der Geige) zu bieten, das auch Metal-Fans glücklich macht. Ein ziemlich verstörendes Video gibt es davon obendrein. Doch die Verstörung ließ noch auf sich warten – mit 15-minütiger Verspätung erschien erstmal Devon Welsh, der Support-Act.
Devon Welsh? Unkundige wie ich müssen googeln. Heraus kommt dabei eine Bandcamp-Seite mit ein paar Songs sowie die Information, dass der Kanadier einst mit Matthew Otto das Art Pop/Electronic-Duo MAJICAL CLOUDZ betrieb, welches sechs Jahre lang existierte und Kollaborationen und Tourneen mit Künstlern wie Lorde, Grimes und Owen Pallett vorweisen kann. Tolle Songs mit ausdrucksstarker Stimme, die Welsh gestern fast alleine zum Einsatz brachte. Nachdem sich der Herr höflich bei den Anwesenden vorgestellt hatte fragte er, ob es auch passen würde, wenn er sich unter die Zuhörer mischte – eine Antwort wurde natürlich weder gegeben noch abgewartet; Welsh tat einfach das, was er wollte.
Und das war, die Menschen um ihn herum direkt anzusingen, teils komplett ohne Musik, zum Teil mit abgerufener elektronischer Begleitung. Hm, mal was anderes. Geste verstanden. Welsh ist also einer von uns, mit den gleichen Problemen und Nöten wie wir sie haben, schon klar. Das verlangt ein gesundes Selbstbewusstsein, vor allem, wenn er sich nur auf seine Stimme verlässt. Ich hätte das an seiner Stelle und an diesem Abend eher nicht gehabt – seine vokale Ausdruckskraft wirkte auf mich mehr bemüht als überzeugend. Der Künstler verwirklichte sich selbst und schloss uns gestisch mit ein, stieß dabei (meiner Wahrnehmung nach) aber eher auf Irritationen oder sogar Desinteresse. Nach einer halben Stunde war es ausgestanden und der Applaus war kurz, aber anerkennend. Bleibt zu erwähnen, dass die MAJICAL CLOUDZ-Tonträger durchaus empfehlenswert sind.
Pünktlich zur vollen Stunde erlosch dann das Licht und zwei Musiker betraten die Bühne: Der seit Jahren mit ZOLA JESUS arbeitende Produzent und Multi-Instrumentalist Alex DeGroot sowie Louise Woodward an der Violine. Der Song „Veka“ vom aktuellen Album ertönte, flackernde Projektionen schnitten die Gesichter der Akteure in schwarz-weiße Streifen. Kaum bemerkbar von den hinteren Reihen kreuchte eine schwarz gewandete Gestalt am Boden zum Mikro. Assoziationen mit The Ring sind wohl mehr als gewollt, doch nicht nur Kenner des Films fingen an sich zu gruseln.
„Soak“ kam als nächstes, ein morbides Stück über das Opfer eines Killers, aus Opfer-Sicht geschrieben. Überhaupt war der Tod inhaltlich allgegenwärtig an diesem Abend. Als Nika später von den Suizid-Versuchen ihres Onkels sowie ihres Cousins sprach (vor „Witness“ oder „Siphon“) war ein betretenes, kollektives Schlucken im Saal wahrnehmbar. Trotzdem wurde nicht nur ehrfürchtig gestaunt, sondern auch gefeiert. Und Älteres wurde ebenfalls kredenzt: „Hikikomori“, „Dangerous Days“ und „Vessel“ fehlten nicht, höchstens „Sea Talk“, aber das schmälerte den Gesamteindruck kein Stück.
Bei allem Düsteren unterscheidet sich ZOLA JESUS von verwandten Musikerinnen wie Chelsea Wolfe oder gar Diamanda Galás durch ihre Herzlichkeit – beim Vorstellen ihrer Kollegen sparte sie nicht mit warmen Worten, betonte deren Kompetenz nicht nur als Musikanten, sondern auch als Menschen. Auch ein Küsschen für die gefühlt drei Meter größere Louise Woodward war da drin. Mit dem Headbanger „Exhumed“ wurde nach einer Stunde schließlich der Sack zugemacht, nur der aus „Grey’s Anatomy“ bekannte Song „Skin“ folgte noch in der kurzen Zugabe. Nur Leipzig, von ZOLA JESUS wohl besonders geschätzt, erlebte noch zwei Zugaben mehr. Ein großartiger, beeindruckender Auftritt war das, noch überzeugender als der 2011. Geschmälert nur von drei betrunkenen Labertaschen, die sich in der Mitte des Sets vor die Bühne quetschten und feiern mit überflüssiger Konversation verwechselten. Möge sie der Fluch aus „The Ring“ treffen.
Links: https://de-de.facebook.com/devonwelsh/, https://devonwelsh.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Devon+Welsh, http://zolajesus.com/, https://www.facebook.com/zolajesusofficial, https://soundcloud.com/zolajesus, https://www.last.fm/de/music/Zola+Jesus
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: