NUBYA GARCIA & SWEETWATER

Zoom, Frankfurt, 24.02.2025

Nubya GarciaAlle paar Jahre, so scheint es zumindest, schwappt eine Welle voller innovativ-modifizierter Versionen amerikanischer Kunstformen aus Großbritannien über die Welt. „Beatlemania“, zum Beispiel, klar. Oder der ganze Blues- bzw. Rhythm’n’Blues-durchtränkte Rock der Briten, der große Teile der weißen US-Hörerschaft erst mit den unterdrückten, schwarzen Traditionen bekannt machte. Auch im Comic-Bereich geschah dies in den späten 80ern, als Künstler wie Garth Ennis, Dave McKean oder (der sich inzwischen leider selbst entzaubernde) Neil Gaiman den US- und damit den Weltmarkt revolutionierten. Vor etwa 40 sowie vor rund zehn Jahren gab es solch eine Welle im Jazz. Eine der ur-amerikanischsten Kunstformen, die trotz der berühmten Analyse von Frank Zappa („Jazz isn’t dead, it just smells funny.“) immer irgendwie da war, selbst wenn das mediale Echo eher gering erschien.

Der Jazz bekam bei der letzten Welle einen enormen Push durch das Wirken von Künstler*innen wie Shabaka Hutchings oder Tom Skinner (u. a. SONS OF KEMET, FLOATING POINTS) oder eben Nubya Garcia. Die Saxophonistin aus London wurde ursprünglich bereits in frühen Jahren an Geige und Bratsche Nubya Garciaausgebildet, wechselte als 10-Jährige dann jedoch zum Horn. Ihre erste LP „Nubya’s 5ive“ erschien 2017, gefolgt von einer EP sowie diversen Sampler- und Gast-Beiträgen, u. a. auch bei den SONS OF KEMET. Ihr 2020 veröffentlichtes Album „Source“ wurde zum „Jazz-Album der Woche“ vom NDR gekürt sowie als Jazz-Album des Jahres bei den Parliamentary Jazz Awards nominiert.

Saxophon-Kolosse wie John Coltrane oder Sonny Rollins bezeichnet sie ebenso als starken Einfluss wie das Werk des Trompeters Miles Davis. Oft bewegt sie sich musikalisch in Sphären, die dem Spiritual-Jazz nahe sind und damit dem Schaffen Coltranes, dessen Frau Alice oder des Pianisten McCoy Tyner, der lange mit John Coltrane spielte. Unter seinem Namen veröffentlichte dieser in den 70ern ein paar herausragende Aufnahmen mit Orchester, deren Max LuthertGeist auch auf Nubya Garcias aktuellem Album „Odyssey“ (2024) spürbar ist und mit dem sie nun auf Tournee ist. Auf „Odyssey“ lässt Garcia Einflüsse ihrer Vergangenheit zu und addiert zu ihrer Band ein Streichorchester, deren Arrangements von ihr selber stammen.

Auf der Bühne im großen Raum des Frankfurter Clubs Zoom war allerdings bloß das Arbeitsmaterial ihrer Live-Band (Lyle Barton – Synthesizer & Piano, Max Luthert – Bass, Sam Jones – Schlagzeug) zu sehen, auf die Streicher wurde verzichtet. Ist ja nach dem Brexit, den sie selbstverständlich nicht befürwortete, auch alles viel zu teuer geworden, wie Garcia später witzelte, als sie ihr mitgebrachtes Merch anpries („It’s still winter and the Hoody is warm“).

Nubya Garcia & Band

Um kurz nach 20 Uhr betrat jedoch erst mal SWEETWATER die Bühne, genauer Savannah Sweetwater Morgan. Im Programm des Zoom ursprünglich angekündigt als Savannah und später als Sweeteater sorgte das zumindest bei mir für Verwirrung. Beim Suchen im Internet findet man unter SWEETWATER Sweetwaterzuerst eine Band aus L.A., die in Woodstock 1969 ebenso auftrat wie 1994 bei der desaströsen Neu-Ausrichtung, über die es sogar einen Film gibt.

Mit „Sometimes I feel like a motherless child“ intonierte diese einen traditionellen Spiritual, den die meisten in der fulminanten Woodstock-Version von Ritchie Havens kennen könnten, oder vielleicht in der Version von Odetta, Billy Preston, Van Morison oder BONEY M. Oder eben in der von Savannah Sweetwater Morgan, falls man sie schon einmal live erlebt haben sollte. Ihre EP findet man bei den Streaming Diensten unter SWEETWATER SOUNDS. Das Suchen danach lohnt, wie ihr knapp halbstündiger Auftritt bewies, dessen Material auf einer zukünftigen EP zu finden sein wird.

SweetwaterDie Berlinerin mit texanischen Wurzeln arbeitet multidisziplinär mit Schwerpunkt auf Musik und Poesie. Ihren Auftritt in Frankfurt präsentierte sie „honoring my East-Texas-Heritage“, im Gegensatz zur EP ohne Band, dafür jedoch mit Musik vom Laptop. Ihre stimmliche Ausdruckskraft changierte dabei zwischen weichem Geflüster und „exzessiv schriller Koloraturimprovisation“ (so Stefan Michalzik in der Frankfurter Rundschau hier). Letztere versetzte der Technik einen Schlag, von dem diese sich erstmal erholen musste, als SWEETWATER Leadbellys „Where Did You Sleep Last Night“ intonierte, seine Version des Traditionals „In The Pines“, welche NIRVANA auf ihrem „MTV Unplugged“-Album zum Besten gaben. Schwer beeindruckend. Beim nächsten Berlin-Besuch sollte man nach einem ihrer Auftritte suchen, die gibt es dort Sweetwaterweitaus häufiger als im Rest der Republik.

Zum ersten Mal erlebte ich den großen Raum des Zoom bestuhlt, was bei Jazzkonzerten an sich nichts Ungewöhnliches darstellt. Nubya Garcias Musik mag zum Versinken einladen, allerdings ebenso zur Bewegung. Ihr selber war es wichtig zu betonen, dass das mit den Stühlen nicht ihre Idee war und führte aus, dass im Stehen gehörte Musik ganz anders wirkt. Mag sein. Ich als Fußkranker, der sich meist auf Rockkonzerte quetscht auf der Suche nach einer Säule zum Anlehnen, war froh darüber, sitzen zu Nubya Garcia & Banddürfen. Die freien Plätze ab der Mitte ließen sowieso eher vermuten, dass ein schwächlicher Vorverkauf zum Bestuhlen riet.

Obwohl ihr Publikum also saß ließ sich der Eindruck nicht vermeiden, dass Garcia (ebenso wie ihre Jungs) diesen Auftritt zunehmend genoss. Die Stücke von „Odyssey“, wie bereits beschrieben mit Streichern aufgenommen, mussten größtenteils wieder ins Band-Format umgeschrieben und zum Teil sogar komplett neu arrangiert werden, wenn auf dem Album Teile dieser Band gar nicht vorgesehen waren Nubya Garcia & Band(„Water’s Path“). An den Soli ihrer Mitstreiter hatte
Garcia darüber hinaus selbst Mordsspaß, wie sie tanzend sowie mitgroovend von Bühnenseite zu Bühnenseite huschte. „You don’t need my permission to express yourself“ unkte sie noch einmal mit Bezug zur Stuhl-Thematik und stellte fest, dass jeder Konzertabend besonders ist, denn „wir treffen uns nur einmal in dieser Konstellation“. „Lovely!“ tönte es da aus dem Publikum. Die Ekstase wurde gefühlt, aber nicht gezeigt.

Nach 90 großartigen Minuten war erstmal Sense, doch bevor die mitgebrachten CDs bestaunt werden konnten (Garcia sinngemäß: „Extra für Euch Deutsche. Ihr und die Japaner kauft am meisten CDs auf der Welt.“) brachte Garcia in der Zugabe „Triumphance“ zu Gehör – das einzige Stück, bei dem sie Nubya Garcia & Bandselber auch sprech-singt und das mit seinem Dub-Groove eigentlich niemanden mehr auf den Sitzen hätten halten dürfen. „Your difference is your power. Our differences can be our collective power.“ sagt sie und liefert damit einen angenehmen Gegenentwurf zum vorherrschenden Zeitgeist. Ein wunderbarer Konzertabend in einer der optisch wie akustisch ansprechendsten Locations in Rhein/Main war das, dargebracht von einem herausragenden Quartett mit umwerfender Leitung. Mrs. Garcia, ich bedanke und verneige mich.

Links: https://sweetwatersounds.bandcamp.com/, https://www.instagram.com/sweetwatersounds/, https://www.youtube.com/@sweetwater_sounds, https://www.nubyagarcia.com/, https://www.facebook.com/nubyagarciamusic, https://www.instagram.com/nubya_garcia/, https://www.youtube.com/@NubyaGarciaMusic, https://www.last.fm/de/music/Nubya+Garcia

Text & Fotos: Micha

Alle Bilder:

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